Europa- & Aussenpolitik

„Das Asyl-System funktioniert nicht mehr“

Droht neue Überlastung das Asylwesens: Flüchtlinge im Jahr 2015 am Weg von Ungarn in Richtung Österreich - Foto: iStock/RadekProcyk

Die Europäische Kommission ist bei Asyl und Migration in der Einschätzung völlig sicher: „Das derzeitige System funktioniert nicht mehr“. Das ist ein Zitat aus dem Medienpapier der Kommission vom 23. September 2020. Zur-Sache dokumentiert – am Tag des Gipfels der EU-Innenminister – die Analysen und die Vorschläge der Kommission für eine Reform des Asyl- und Migrationswesens. Diese Dokumente bestätigen die Vorgangsweise der Bundesregierung als völlig richtig.

 

Kommission präsentierte Vorschläge 2020

Vor etwas mehr als zwei Jahren präsentierte die Kommission ein neues Asyl- und Migrationspaket. Es enthält Vorschläge für neue Regeln im Asyl- und Migrationswesen unter dem Titel: Migrations- und Asylpaket: am 23. September 2020 verabschiedete Schriftstücke zum neuen Migrations- und Asylpaket.

Jetzt drängt die Bundesregierung darauf, die Reformen umzusetzen. Begründung: Der Ansturm an illegaler Migration und 100.000 Asylanträge heuer in Österreich würden zeigen, dass das System nicht mehr funktioniert.

Dieser Kurs der Bundesregierung wird durch Analysen der Europäischen Kommission vollständig bestätigt.

Die Europäische Kommission warnte bereits 2020 ausdrücklich davor, dass große Zuströme an Menschen die nationalen Asylsysteme unter Druck setzen. Daher seien der Schutz der Grenzen, ein wirksames Asylmanagement und praktikable Regelungen für Migration erforderlich. Dies alles verbunden mit einer gerechten Verteilung der Lasten unter den Mitgliedstaaten, also der Kosten für Grenzschutz, Verfahren sowie Versorgung und Integration. Das sagte die Kommission bereits im September 2020.

 

Österreich überlastet

Mit zahlreichen Interventionen und Initiativen versucht Österreich seit Monaten, öffentliches Bewusstsein und Lösungen für das Problem zu erreichen, wie Zur-Sache berichtete:

  • Innenminister Gerhard Karner macht seit dem Frühjahr auf die Überlastung Österreichs aufmerksam.
  • Bundeskanzler Karl Nehammer verhandelte deswegen mit Regierungschefs der Nachbarländer, um den Zustrom einzuschränken.
  • Österreichs Europa-Abgeordnete wie Lukas Mandl drängen darauf, über die Kommissionsvorschläge nach fünf Berichten endlich zu entscheiden.
  • Karner setzte das Thema auf die Tagesordnung der EU-Innenminister, die am Freitag (25. November) tagen.
Bundeskanzler Karl Nehammer in Kroatien: Kooperation bei Energie und Migration. Foto: Bka/Andy Wenzel

Bundeskanzler Karl Nehammer in Kroatien: Kooperation bei Energie und Migration. Foto: Bka/Andy Wenzel

Die Bundesregierung hat also zahlreiche sachliche Gründe, das Thema Asyl und Migration zu einem der EU zu machen. Nehammer und Karner haben aktuell gesagt, was die Kommission schon 2020 meinte: „Das derzeitige System funktioniert nicht mehr.“ In diesem Sinne äußerten sich auch österreichische Abgeordnete der Europäischen Volkspartei zum Europäischen Parlament, etwa Lukas Mandl.

Arbeitsgespräch der Innenminister Gerhard Karner, Vít Rakušan (Tschechien), Roman Mikulec (Slowakei) und Sándor Pintér (Ungarn) in Prag. Foto: BMI

Arbeitsgespräch der Innenminister Gerhard Karner, Vít Rakušan (Tschechien), Roman Mikulec (Slowakei) und Sándor Pintér (Ungarn) in Prag. Foto: BMI

Kritik an Regierung unrichtig und unsinnig

Die Kritik, die Regierung würde mit dem Thema Asyl und Migration nur von anderen Themen abzulenken versuchen, ist daher unrichtig, also falsch und unsinnig:

  • Richtig ist, dass die Bundesregierung ein aktuelles und relevantes Thema aufgreift, um die Herausforderungen durch illegale Migration und Schlepperkriminalität zu bewältigen.

Diese Herausforderungen sind enorm, in mehrfacher Hinsicht:

  • Ein Faktum ist, dass die Migration in jeglicher Form weiter zunehmen wird. Darunter auch die illegale Wanderung, also die Einwanderung in Asylsysteme, die für verfolgte Personen geschaffen wurden, nicht aber für die nachträgliche Legalisierung von Schlepperkriminalität mit anschließendem Familiennachzug.
  • Weiteres Faktum ist, dass die rechtliche Lage unübersichtlich ist, und die Rechtsprechung widersprüchlich.

Zudem wirken an der Schnittstelle von legaler und illegaler Migration einige, teils widerstreitende politische und ökonomische Interessen.

Zu den erwiesen Fakten gehört weiters, dass die gegenwärtigen enormen Mengen an illegaler Migration nach Österreich hier die soziale Akzeptanz des Asylwesens untergraben und das System administrativ und finanziell zum Einsturz bringen. Daher setzte die Bundesregierung das Thema mit Dringlichkeit auf die europäische Agenda.

Bericht von einer Route illegaler Migration: Nordmazedoniens Innenminister Oliver Spasorsky bei Innenminister Gerhard Karner in Wien. Foto: BMI/Jürgen Makowecz

Bericht von einer Route illegaler Migration: Nordmazedoniens Innenminister Oliver Spasorsky bei Innenminister Gerhard Karner in Wien. Foto: BMI/Jürgen Makowecz

Eckpunkte des neue Asyl- und Migrationspakets

Im Folgenden dokumentiert Zur-Sache die Informationen zur Reform des Asyl- und Migrationswesens in der EU, die seit zwei Jahren vorlegen und nun – final – beraten werden. Hier die Einleitung aus dem Info-Papier der Kommission:

Die Europäische Kommission schlägt ein neues Migrations- und Asylpaket vor, das alle Elemente enthält, die für ein umfassendes europäisches Migrationskonzept erforderlich sind. In dem Paket werden verbesserte und schnellere Verfahren im gesamten Asyl- und Migrationssystem festgelegt. Außerdem wird damit ein Gleichgewicht zwischen den Grundsätzen der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten und der Solidarität geschaffen. Dies ist von entscheidender Bedeutung für die Wiederherstellung des Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten und in die Fähigkeit der Europäischen Union, die Migration zu steuern.

Migration ist ein komplexes Thema mit vielen Aspekten, die bei Entscheidungen berücksichtigt werden müssen: die Sicherheit der Menschen, die internationalen Schutz oder ein besseres Leben suchen, die Sorgen der Länder an den EU-Außengrenzen, die befürchten, dass der Migrationsdruck ihre Kapazitäten übersteigen wird, und die die Solidarität anderer benötigen oder aber auch die Bedenken der übrigen EU-Mitgliedstaaten, die befürchten, dass bei Nichteinhaltung der Verfahren an den Außengrenzen große Zuströme von Menschen ihre nationalen Asyl-, Integrations- oder Rückführungssysteme unter Druck setzen.

Das derzeitige System funktioniert nicht mehr, und in den letzten fünf Jahren hat die EU es nicht geschafft, dieses Problem zu lösen. Die EU muss den derzeitigen Stillstand überwinden und sich dieser Aufgabe stellen. Mit dem neuen Migrations- und Asylpaket schlägt die Kommission gemeinsame europäische Lösungen für eine europäische Herausforderung vor. Die EU muss von Ad-hoc-Lösungen abrücken und ein berechenbares und zuverlässiges Migrationsmanagementsystem einrichten.

Nach umfassenden Konsultationen und einer ehrlichen und ganzheitlichen Bewertung der Lage schlägt die Kommission vor, das System von Grund auf zu verbessern. Dazu gehört die Prüfung von Möglichkeiten zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern, zur Gewährleistung wirksamer Verfahren, zur erfolgreichen Integration von Geflüchteten und zur Rückführung von Personen ohne Aufenthaltsberechtigung. Eine einzige Lösung für das Thema Migration, die alle Seiten in allen Aspekten zufriedenstellt, gibt es nicht – aber durch Zusammenarbeit kann die EU eine gemeinsame Lösung finden.

Analysen und Reformvorschläge zu Asyl und Migration liegen in der EU seit 2020 vor.

Analysen und Reformvorschläge zu Asyl und Migration liegen in der EU seit 2020 vor.

Appell und aktuelle Zahlen im neuen Report

Nach der Corona-Pandemie und durch Russlands Krieg gegen die Ukraine haben Flucht und Migration neuerlich enorm zugenommen, heißt es in einem aktuellen Migrations- und Asylbericht der Kommission.

In dem an das Europäische Parlament gerichteten Report heißt es, die irregulären Grenzübertritte hätten sich in den ersten drei Monaten des heurigen Jahres gegenüber 2019 auf das Dreifache erhöht.

Mitgliedstaaten und Kommission arbeiten daher daran, das Grenzmanagement zu verbessern, insbesondere die Anwendung des Abkommens Dublin III, das die Zuständigkeiten für Asylanträge regelt. Ebenfalls verbessert werden soll das System der Rückführungen, aber auch der Ansiedelung in Drittstaaten und der Integration. Die Kommission appelliert in dem 30-seitigen Report von 6. Oktober 2022 an das Parlament und an die Mitgliedstaaten, die vorliegenden Vorschläge – siehe oben – aufzugreifen und darüber zu entscheiden.