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Lueger Denkmal: Die einäugige Geschichtspolitik der Linken
Historische Persönlichkeiten Österreichs sind neuen Angriffen ausgesetzt, vor allem in Wien. Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) hat für Mai einen Runden Tisch angekündigt, an dem rund 45 Personen über den Umgang mit dem Denkmal des früheren Bürgermeisters Karl Lueger im ersten Bezirk beraten sollen. In einem Gastkommentar analysiert der Historiker sowie Landes- und Europapolitiker Franz Schausberger die einseitig geführte Debatte.
Agitation gegen Lueger
Die nunmehr wieder angeheizte Diskussion um das Karl-Lueger-Denkmal und den dazugehörigen Platz zeigt die Einäugigkeit und auch historische Unwissenheit der linken Agitatoren. Mit der vorgezogenen Umbenennung des Karl-Lueger-Rings – die Wiener SPÖ wartete 2012 nicht einmal die Präsentation des von ihr selbst initiierten Historikerberichts ab – hatte man das parteipolitische Ziel erreicht: „Lueger muss weg“.
Seit Mitte 2020 wird nun von linker Seite auch die Agitation gegen das Lueger-Denkmal betrieben. Es läuft wieder in ähnlicher Weise: Das offizielle Wien spricht sich zwar halbherzig gegen einen Denkmalsturz aus, lässt aber Denkmalstürmer ungeschoren, die das Lueger-Denkmal ausführlich mit Farbe und Schmähsprüchen beschmieren und verunstalten. Wie immer unter dem Deckmantel der „Künstlerischen Freiheit“. Eine Diskussion über andere historische Persönlichkeiten wird kategorisch unterdrückt.
Alle waren für das Denkmal
Das in den Jahren 1913 bis 1916 geschaffene Lueger-Denkmal wurde 1926 durch die Entscheidung des sozialdemokratischen Bürgermeisters Karl Seitz am heutigen Platz aufgestellt. Das Denkmal selbst wurde 1926 ausschließlich von tausenden privaten Spenden finanziert, den hohen Sockel finanzierte die sozialdemokratische Wiener Stadtverwaltung. Der Appell des sozialdemokratischen Bürgermeisters Karl Seitz – „Mögen künftige Generationen sich vor diesem Denkmal eines wichtigen Abschnitts in der Geschichte Wiens erinnern“ – erhielt lebhaften Beifall von allen Seiten und sollte einen fixen Platz im Stammbuch der heutigen linken Denkmalstürmer einnehmen.
Arbeiterzeitung würdigt Lueger
Anlässlich der Enthüllung des Lueger-Denkmals 1926 veröffentlichte die sozialdemokratische „Arbeiter-Zeitung“ geradezu Lobeshymnen auf Lueger, nicht zuletzt, um seine aktuellen politischen Nachfahren umso mehr kritisieren zu können. „Und der Sieg Luegers brachte einen Fortschritt selbst in der Richtung zum Sozialismus: Dass er die Straßenbahn und das Gaswerk den Kapitalisten entrissen und in das Eigentum des Gemeinwesens übergeführt hat, war seine größte Tat“, hieß es da. An der Enthüllungsfeier nahm neben Christlichsozialen auch eine große Zahl sozialdemokratischer Prominenz mit Bürgermeister Seitz, Vizebürgermeister Georg Emmerling, den Stadträten Julius Tandler und Karl Richter sowie Präsident Robert Danneberg teil.
Bürgermeister Seitz, der das Denkmal vom Denkmalkomitee in die Obhut der Gemeinde Wien nahm, verwies darauf, dass er über zwei Jahrzehnte mit Bürgermeister Lueger im Streit gelegen war. In der historischen Betrachtung habe Lueger aber große Verdienste um die Stadt Wien. Er habe den ersten Schritt zur Demokratisierung der Gemeindeverwaltung getan. „Die Ära Luegers bedeutet also eine wichtige Phase in der Entwicklung der Verfassung unserer Stadt zur vollen Volksherrschaft.“ Gegen große Widerstände habe Lueger die Kommunalisierung der städtischen Straßenbahnen, der Elektrizitäts- und Gaswerke und der Leichenbestattung durchgesetzt. Den Bau der zweiten Wiener Wasserleitung hob Seitz als besonderes Verdienst Luegers ebenso hervor wie die großen sozialen Reformen.
Strategischer Antisemitismus?
Frei von jedem Verdacht, Luegers heute zu verurteilende antisemitische Rhetorik beschönigen zu wollen, schrieb der jüdische Journalist und Schriftsteller Stefan Großmann in der „Arbeiter-Zeitung“ einen ausführlichen, bemerkenswerten Nachruf auf den verstorbenen Bürgermeister. Darin ging er auch auf Luegers angeblichen Antisemitismus ausführlich ein: „Am wenigsten fest saßen seine antisemitischen Gesinnungen in ihm.“
Ja, Lueger hat vor allem in seiner frühen politischen Phase in seinem Verbalantisemitismus oftmals gegen Juden gewettert, weil es dem Zeitgeist entsprach und ihm politisch genützt hat. All das ist aus heutiger Sicht absolut inakzeptabel und kann in keiner Weise beschönigt werden. Der jüdische Historiker Isak Arie Hellwing kommt in seiner Studie über den konfessionellen Antisemitismus zu folgendem Urteil: „Lueger war nie überzeugter Antisemit.“
„Vermittlung ist wichtig, nicht der erhobene Zeigefinger“ erklärte der ehemalige Wiener SPÖ-Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny nachdem der Lueger-Ring beseitigt war. Ein gutes Beispiel, wie die Geschichte einmal gebraucht, instrumentalisiert, missbraucht oder auch ignoriert wird.
Blindheit auf dem linke Auge
Die beschämende Einäugigkeit der Linken in der Geschichtspolitik zeigt sich in der eklatant unterschiedlichen Behandlung von Karl Lueger und Karl Renner. Bei beiden gibt es neben ihren unbezweifelten großen Verdiensten auch kritikwürdige Punkte ihres politischen Lebens. Das linke Auge bleibt gerade bei Karl Renner fest geschlossen, der infolge jahrzehntelangem verschämten Verschweigens und Verharmlosens seiner
- nachweislich freiwillig angebotenen öffentlichen Propaganda für den Anschluss Österreichs an das Hitler-Deutschland,
- seiner Verherrlichung der nationalsozialistischen Volksgruppenpolitik und
- seiner unbestreitbar öffentlichen antisemitischen Äußerungen sowie
- seiner nach 1945 weiter gelebten Abneigung gegen jüdische Heimkehrer und Holocaustüberlebende
endlich einer intensiven sachlichen Aufarbeitung bedürfte. Bei Renner stehen also bei Weitem nicht nur seine antisemitischen Auslassungen in der Kritik.
Karl Renner – ein Antisemit?
Karl Renner geriet schon 1910 wegen seiner antisemitischen Äußerungen ins Visier der „Jüdischen Volksstimme“ die sich beklagte, dass die sozialdemokratischen Führer zwar von den Juden „Geld für ihren Wahlfonds schnorren“, aber „dafür die Juden zu beschimpfen [pflegen].“ Dem Abgeordneten Karl Renner warf die Zeitung eine „antisemitische Flegelei“ im niederösterreichischen Landtag vor, womit bezeugt sei, „dass sozialdemokratische Gesinnung mit antisemitischem Pöbelton vereinbar ist.“ Das war im Jahr 1910, im Jahr des Todes von Karl Lueger. Friedrich Adler bezeichnete Renner nicht von ungefähr 1917 als „Lueger der Sozialdemokratie“.
Studiert man die Protokolle des österreichischen Parlaments in den Zwanzigerjahren, so erkennt man zweifelsfrei, dass neben einigen prominenten Christlichsozialen, wie etwa Leopold Kunschak, vor allem der Sozialdemokrat Karl Renner sich gerne und häufig antisemitischer Rhetorik bediente. Wann immer er konnte, verband Renner die Begriffe „jüdisch“ oder „Juden“ mit negativen Konnotationen.
In diesem Zusammenhang ist Oliver Rathkolbs Feststellung zuzustimmen, dass Renners extremer Anschluss-Deutschnationalismus, sein skandalöses öffentliches Eintreten für den Anschluss an das Hitler-Deutschland im März 1938, seine Verherrlichung der Expansionspolitik Hitlers und seine kritikwürdige Haltung gegenüber den Juden nach 1945 schwerer wiegen als sein Antisemitismus, sei er nun ideologischer oder anderer Art.
Der wohl dunkelste Punkt in Renners politischer Laufbahn ist unbestritten sein Anbiedern an die Nationalsozialisten mit dem Aufruf, „am 10. April [1938] für Großdeutschland und Adolf Hitler zu stimmen.“ Er verwendete nicht den neutraleren Begriff „für den Anschluss“ sondern „für Adolf Hitler“.
Aufruf zugunsten von Adolf Hitler
Renner wusste sehr wohl, dass die Volksabstimmung nicht mehr frei und geheim war und was Hitler seit 1933 in Deutschland angerichtet hatte und er wusste auch, dass seine prominenten Genossen Robert Danneberg, Felix Kanitz und Paul Johannes Schlesinger gleich nach dem Einmarsch der NS-Truppen in Österreich verhaftet und ins KZ gebracht worden waren, wo sie später umkamen.
Den Österreichern des sogenannten Prominententransports vom 1. April 1938 in das KZ Dachau, darunter auch Leopold Figl, wurde die Erklärung Renners (und des Wiener Erzbischofs) von den NS-Schergen mit Spott und Hohn vorgelesen. Sowohl 1938 wie auch nach 1945 bekräftigte Renner selbst, dass er die Erklärungen aus freien Stücken abgegeben habe.
Im Dezember 1938 verfasste Renner eine Schrift, in der er den „Anschluss“ Österreichs und der sudetendeutschen Gebiete verherrlichte. Der Text wurde erst 1990 veröffentlicht. Anton Pelinka kritisierte zurecht, dass diese Schrift Renners von der Sozialdemokratie nach 1945 de facto unterschlagen worden sei. Oliver Rathkolb äußerte die Ansicht, Renner hätte 1945 nicht österreichischer Staatschef werden können, wäre dieser Text bekannt gewesen.
Auch nach dem Krieg ging es Karl Renner nicht nur darum, die Rückkehr von vertriebenen oder geflüchteten jüdischen Österreichern, sondern auch, etwaige Reparationszahlungen an die Opfer des Nationalsozialismus zu verhindern. Im August 1945 ging Renner auf die „kleinen“ Nationalsozialisten und die Juden ein und meinte, „dass alle diese kleinen Beamten, diese kleinen Bürger und Geschäftsleute bei dem seinerzeitigen Anschluss an die Nazis gar nicht weit tragende Absichten gehabt haben – höchstens, dass man den Juden etwas tut.“
Marko Feingold, KZ-Überlebender, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg und SPÖ-Mitglied erklärte 2013, dass die Regierung unter Renner angeordnet habe, „uns nicht durchzulassen. Es hat geheißen, auf Befehl dürfen keine KZler, keine Juden und keine Vertriebenen zurück. Denn insbesondere Renner hat sich hervorgetan, man müsse sich jetzt um die Wiener Bevölkerung kümmern, weil sie hat doch ihren Führer verloren…Was der sich geleistet hat … Der Renner-Ring muss weg!“ Im Jahr 2018 sagte Feingold in einem Interview, Karl Renner sei „in der Partei schon lange bekannt gewesen als Antisemit.“
Renner-Ring umbenennen in Parlamentsring
Man stelle sich einmal vor, ein nicht-sozialdemokratischer Politiker hätte in mehreren so entscheidenden Bereichen – nicht nur den Antisemitismus betreffend – eine Haltung wie Karl Renner eingenommen. Dies hat sogar den sozialdemokratischen, aber sehr sachbezogenen Historiker Oliver Rathkolb zum Vorschlag motiviert, den Renner-Ring in einen neutralen „Parlamentsring“ (wie bis 1956) umzubenennen. Dieser Vorschlag sollte aufgegriffen und im Zuge des Wiedereinzugs des Nationalrats umgesetzt werden.
Damit könnte sich gerade die Sozialdemokratie von dem Vorwurf befreien, dass sie in ihrer Geschichtspolitik und Erinnerungskultur – gerade im Vergleich von Renner und Lueger – eklatant mit zweierlei Maß messe.
Es ist nämlich für viele Abgeordnete unerträglich, dass die Adresse des Österreichischen Parlaments, der wichtigsten Institution der Unabhängigkeit des demokratischen Österreichs, den Namen eines Mannes trägt, der 1938 ohne Not und Zwang Österreich verraten hat.
Franz Schausberger, Dr. phil. Universitätsprofessor für Neuere Österreichische Geschichte.
Präsident des Karl-von-Vogelsang-Instituts, Vorstand des Instituts der Regionen Europas.
Ehemaliger Landeshauptmann von Salzburg.