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Rudolf Taschner über Wissenschaftspolitik – Wege und Abwege

Die politische Bedeutung von Wissenschaft ist für Rudolf Taschner in einem Satz erklärt: Wissenschaft ermöglicht ständig wachsenden Wohlstand für alle. In einem Essay erläutert Rudolf Taschner, Wissenschaftler und Bildungssprecher der ÖVP, die Wege zur Wissenschaft. Seine weitere Darstellung der Abwege mündet in einen drängenden Appell an die Wissenschaftspolitik.
Taschner: das Wort Wissenschaft richtig verstehen
Diese Botschaft – Wissenschaft ermöglich ständig wachsenden Wohlstand für alle – begründet die hohe Wertschätzung der Wissenschaft. Wie sehr aber dieser Satz wirklich zutrifft, hängt davon ab, ob man das Wort Wissenschaft recht versteht. Denn Wissenschaft ist ein schillernder Begriff, durchwirkt von vielfältigen Aspekten. Diese sich vor Augen zu führen, fördert grundsätzliche Gedanken zur Wissenschaftspolitik zutage.
Vier Wege, die zu guter Wissenschaft hinführen, und zwei Abwege, die einzuschlagen der Wissenschaft schaden, seien im Folgenden genannt.

Rudolf Taschner: Abgeordneter und Bildungssprecher der ÖVP. Foto: Arman Rastegar
Erster Weg hin zur exzeptionellen Wissenschaft
Hierunter sei jene Wissenschaft verstanden, die Weltbewegendes in Gang setzt. Beispiele dafür macht man am besten an Personen fest, die mit solchen Glanzleistungen verbunden sind. In den exakten Wissenschaften fällt es leicht, solche Namen zu nennen: In der Mathematik John von Neumann, dem wir den Schritt in das digitale Zeitalter verdanken. In der Physik Albert Einstein, Niels Bohr, die Schöpfer eines neuen Weltbildes von Raum, Zeit, Materie. In der Chemie Linus Pauling, dem Entdecker der Natur der chemischen Bindung, welche Buntheit und Vielfalt des Stoffes der Schöpfung verstehen lässt.
Natürlich gibt es mehr als die hier genannten Koryphäen der Wissenschaft – aber um Koryphäen muss es sich handeln, will man wirklich von exzeptioneller Wissenschaft sprechen.
Planbar sind Herkunft und Wirken solcher Geistesgrößen nicht. Allein das für sie fruchtbare Umfeld kann man bereitstellen – und dafür muss eine bedachtsame Wissenschaftspolitik sorgen. Und sie sorgt dafür sogar angesichts der nur geringen Wahrscheinlichkeit, dass über gute, ja über hervorragende wissenschaftliche Leistungen hinaus tatsächlich Meisterwerke gelingen, die Jahrhundertereignisse sind und sämtliche bekannten Maßstäbe sprengen. Das Auftreten von Koryphäen lässt sich nicht erzwingen.

Jugendliche werden an Schulen mit Wissenschaft vertraut gemacht. Foto: BMBWF
Zweiter Weg hin zur wichtigen Wissenschaft
Das Adjektiv „wichtig“ klingt in Verbindung mit Wissenschaft ein wenig seltsam. Zumal man von der Forschungsseite unentwegt hört, eben das, was man betreibe, sei wichtig. Aus politischer Sicht ist es verfehlt, sich auf solche Aussagen blind zu verlassen. Vielmehr gilt das Wort des Evangeliums: An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Es ist von politischer Seite zu fragen, welche Bedeutung die jeweilige wissenschaftliche Betätigung besitzt, welche Folgen aus ihr erwachsen, welcher Nutzen gezogen werden kann. Dabei ist der Begriff des Nutzens sehr weit zu spannen. Dass technische, medizinische, ökologische oder ökonomische Errungenschaften darin eingeschlossen sind, liegt nahe. Aber auch Schärfungen des Umwelt-, des Gesellschafts- und des Selbstverständnisses sind im Begriff des Nutzens mit eingeschlossen. Hier hat die Wissenschaftspolitik zu entscheiden: welche Wissenschaft ist uns wichtiger als eine andere.
Dritter Weg hin zur etablierten Wissenschaft
Das Ziel dieses Weges lässt sich leicht orten: Man findet es in den Bibliotheken, in den Fachhochschulen, an den Universitäten. Alle drei Institutionen wahren Wissen, Fachhochschulen und Universitäten darüber hinaus lehren Wissen, und zuvörderst die Universitäten mehren Wissen.
Es obliegt der Politik zu beobachten, wie erfolgreich diese Institutionen ihre Aufgaben wahrnehmen, und aus dieser Beurteilung das Maß für die staatliche Unterstützung festzulegen.
Im Übrigen aber gedeiht die etablierte Wissenschaft in ihrer Autonomie. Sie misst sich an den von der Tradition übernommenen Vorbildern, am Vergleich mit Partnerinstitutionen des In- und Auslandes und an anspruchsvollen Erwartungen.
Ein Wort noch zum Unterschied zwischen Fachhochschulen und Universitäten: Bei beiden Institutionen bildet die Lehre ein konstitutives Element. Dennoch besteht im Idealfall zwischen der Lehre an Fachhochschulen und der Lehre an Universitäten eine deutliche Differenz: Fachhochschulen richten ihre Lehre auf eine Wissensvermittlung mit dem Ziel aus, bestehenden Bedarf zu decken. An Universitäten hingegen wird forschungsgeleitet gelehrt, das heißt das Gelangen zu Einsichten wird so vermittelt, dass damit zugleich die Basis für neuen Erkenntnisgewinn gelegt ist.
Ein Beispiel: Das Ingenieurstudium erfordert die Vermittlung anwendungsorientierter Mathematik. An Fachhochschulen konzentriert man sich auf die Einübung von Fertigkeiten, ohne deren Grundlagen wesensgerecht erörtern zu müssen. An Technischen Universitäten hingegen wird in den Mathematikkursen diese Disziplin in ihrer vollen Tiefe als jene Geisteswissenschaft gelehrt, die für alle unverzichtbar ist, die sich dem rationalen Erfassen der Welt und ihrer von der Vernunft geleiteten Gestaltung verschrieben haben.

Die Budgets für Wissenschaft wurden 2023 und 2024 deutlich erhöht, die Universitäten zeigten sich zufrieden. Foto: stevecoleimages
Vierter Weg hin zur Öffentlichen Wissenschaft
Der schöne Begriff Öffentliche Wissenschaft wurde vom Astronomen und Geophysiker Heinz Haber geprägt. Öffentliche Wissenschaft ist mehr als mit dem gerne abschätzig verwendeten Wort Populärwissenschaft gemeint ist. Diese zielt darauf, wissenschaftliche Themen in verdünnter Form unreflektiert aufzudrängen. Jene aber möchte die Öffentlichkeit in den Prozess wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns einbinden. Wenn mit Steuern wissenschaftliche Tätigkeiten finanziert werden, hat sich die Wissenschaft zu rechtfertigen, sich Fragen und Kritik zu stellen. Wissenschaft benötigt Akzeptanz der Gesellschaft, und diese setzt Verstehen voraus, womit sich die jeweilige Wissenschaft auseinandersetzt, wie, wozu und warum sie es tut.
Die vier hier genannten Wege zur Wissenschaft weisen keineswegs in verschiedene Richtungen, ganz im Gegenteil: Sie verlaufen großteils parallel, kreuzen einander mehrfach und weisen gemeinsam hin zur guten Wissenschaft.
In diametral andere Richtung hingegen verlaufen Abwege, die Wissenschaft in eine Sackgasse oder auf eine schiefe Bahn führen. Zwei der Wissenschaft abträgliche Abwege seien skizziert:
Erster Abweg in das Uferlose der bürokratischen Wissenschaft
Natürlich sind die Zeiten vorbei, da Michael Faraday für ein paar Schillinge die Drähte, Spulen, Kondensatoren und andere Hilfsmittel für seine bahnbrechenden Experimente besorgen konnte. Heutzutage wird Wissenschaft gerne eifrig organisiert: Projekte erfordern Planung und Geldgeber für die Verwirklichung. Dies alles mündet oft in einen bürokratischen Aufwand, der wie eine Bleiplatte auf dem Projekt lastet und seine Entfaltung stört, wenn nicht verhindert. Schließlich lässt die Bürokratie nur dafür Platz, was in ihren starren Rahmen passt.
Wird bei Forschungsanträgen zum Beispiel verlangt, das zu erzielende Ergebnis zu umschreiben, sind die wahrhaft spannenden Forschungen, bei denen unerwartete Resultate überraschen, von vornherein ausgeschlossen.
Wunderbar beschreibt Gottfried Schatz im Artikel „Die letzten Tage der Wissenschaft“ in der NZZ vom 1. April 2008, wie Bürokraten auf der Brücke des wissenschaftlichen Schiffes mit Kommandolauten wie „intra-, trans- und multidisziplinär, Schwerpunkt, Master Plan, Portfolio, Center of Excellence, relevant, Governance, Vision, multifokal, Ranking, Impact Factor, Fokussierung, Vernetzung oder Effizienz“ die Wissenschaft auf den falschen Kurs zwingen, nur um sich selbst unentbehrlich fühlen zu können.
Zweiter Abweg in den Abgrund der scheinbaren Wissenschaft
Der gute Ruf, den Wissenschaft weithin genießt, verleitet oft dazu, dass sich geschickt präsentierte Scharlatanerien oder dem Zeitgeist frönende Ideologien als wissenschaftliche Disziplinen verkleiden, um all jene Vorteile beanspruchen zu können, die seriöser Wissenschaft zurecht zugebilligt werden.
Das kommt sogar in der Mathematik vor: Absurde Ansichten über unendliche Mengen, deren Mächtigkeit jegliches Anschauungsvermögen übersteigt und die rein gar nichts mit der Wirklichkeit und noch weniger mit Sinnhaftigkeit gemein haben, tummeln sich in der abstrakten Mengentheorie. Der große Gelehrte Carl Ludwig Siegel klagte schon vor Jahrzehnten: „Ich habe Angst, dass die Mathematik vor dem Ende des Jahrhunderts zugrunde geht, wenn dem Trend nach sinnloser Abstraktion – die Theorie der leeren Menge, wie ich es nenne – nicht Einhalt geboten wird.“
Das ist nur ein Beispiel von Scharlatanerien höherer Art. Schlimmer noch sind die von Ideologien verzerrten Sozialwissenschaften. Solche gab es, als der Eiserne Vorhang Europa durchzog, östlich davon in Gestalt des Marxismus-Leninismus, und solche gibt es jetzt, da der Wokeismus sein Weltbild in mancherlei Gestalt als Wissenschaft verbrämt. Scheinwissenschaftler hoffen, ihre Geisteshaltung unanfechtbar in der Gesellschaft festigen zu können, sie ringen um Lehrstühle, um Forschungsgelder, um Einfluss, um Anerkennung.
Taschner zur Aufgabe der Wissenschaftspolitik
Hier rigoros einen Riegel vorzuschieben, mag wohl die schwerste und mit viel Missgunst verbundene Aufgabe der Wissenschaftspolitik sein. Sie sollte sich ihr nicht entziehen. Denn auf die Selbstreinigungskraft der Wissenschaft und ihrer Vertreter zu hoffen ist – zumindest gegenwärtig – ärger als naiv.
Zur Homepage von Rudolf Taschner HIER
