Kommentare
Ist der Stopp des Familiennachzugs unmenschlich?

Ist der Stopp des Familiennachzugs unmenschlich? Gudrun Kugler kennt die Verhältnisse in den Flüchtlingslagern und in Wien: Die ÖVP-Abgeordnete ist Bereichssprecherin des ÖVP-Parlamentsklubs für Menschenrechte und Entwicklungszusammenarbeit sowie Sonderbeauftragte für demographischen Wandel der Parlamentarischen Versammlung der OSZE. Hier ihr Kommentar zum Thema Stopp des Familienachzugs, erstmals veröffentlichtet in der Kleinen Zeitung.
Lokalaugenschein auf Lampedusa
Auf Lampedusa für die OSZE: Erstversorgung von neun Männern, die gerade mit einer Nussschale im Hafen angekommen sind. Sie haben die gefährliche Fahrt überlebt. Im Auffanglager frage ich einen von ihnen: Wie war Ihr Weg hierher? „Monatelang Wüste, Haft, Folter in Libyen, 15.000 Euro an Schlepper gezahlt.“ Warum Europa? „Arbeit.“ Nächster Schritt? „Asyl beantragen, und dann die Familie nachholen.“
Für die OSZE besuche ich regelmäßig Flüchtlingslager und spreche dort mit Betroffenen: Selten höre ich Asylgründe, meist geht es um Arbeitssuche. Das Asylrecht ist ein hohes Gut. Es jenen zu gewähren, die es brauchen, gehört sich für einen gerechten Staat. Asylmissbrauch und Asylshopping hingegen unterminieren das Asylrecht.
Österreich brauch Einwanderung – aber geordnet
Österreich braucht Einwanderung auch aufgrund der negativen demografischen Entwicklung. Diese muss aber geordnet, kontrolliert und vor allem auf Mangelberufe bezogen sein. Systematischer Familiennachzug hingegen ist eine Fortsetzung irregulärer Migration, die Österreich und insbesondere Wien überfordert.
In den letzten 10 Jahren hat Österreich 220.000 Personen Asyl gewährt. Subsidiär Schutzberechtigte und illegalerweise nicht ausgereiste Negativ-Beschiedene sind in dieser Zahl nicht enthalten. 18.000 Familienangehörige zogen in den letzten beiden Jahren nach, darunter 13.000 meist schulpflichtige Minderjährige.
Als Abgeordnete für Wien Nord erlebe ich die Schulcontainer auf den Schulsportplätzen hautnah mit. Von 22.000 Schulanfängern werden in Wien 11.000 als außerordentliche Schüler geführt. Viele davon haben weder Deutschkenntnisse und noch je eine Schule besucht. Binnenmigration aufgrund inner-österreichischer Pull-Faktoren lässt das ohnehin starke Bevölkerungswachstum in der Hauptstadt zusätzlich in die Höhe schnellen. 60 % der Mindestsicherungsbezieher leben in Wien – bei rund 20 % Gesamtbevölkerungsanteil. Bei Ärzten sind die Wartezeiten teilweise monatelang. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt über 20 %. Kriminalität und Übergriffe durch Banden steigen. Völlig unterschiedliche Werte und Lebensweisen prallen aufeinander.
Souveräne Entscheidung über Familiennachzug
Das alles ist zu viel für Wien und Österreich: Länder wie Dänemark und Schweden haben das erkannt und den Familiennachzug eingeschränkt sowie hohe Rückkehrprämien festgesetzt. Die Entscheidung, wer zuziehen darf und die Begrenzung der Migration sind Teil nationaler Souveränität.
Verfolgte brauchen Chance auf Asyl
Persönlich verfolgte Menschen müssen weiterhin eine Chance auf Asyl haben. Migranten und Flüchtlinge verdienen Respekt, die Achtung ihrer Würde und ausgetreckte Hände im Gastland. Kluge Asylpolitik verhindert, dass in großen Teilen der Bevölkerung die Aufnahmebereitschaft für echte Flüchtlinge verschwindet. Anstatt jenen wenigen, die Glück haben, im Familiennachzug nach Österreich zu holen und unsere Systeme damit zu überlasten, helfen wir den Betroffen mehr, wenn wir ihnen eine sichere Rückkehr ins Heimatland ermöglichen. Deshalb unterstützt Österreich über Entwicklungszusammenarbeit vor Ort Sicherheit, Infrastruktur und die Schaffung von Zukunftsperspektiven.

Setzt sich auch auf internationaler Ebene ein. Gudrun Kugler bei der OSZE-Jahrestagung 2024 in Bukarest. Foto: Tabitha Rauscher
