News
500 Stellungnahmen erhitzen Strom- und Netzdebatte

Über 500 Stellungnahmen und eine intensive, größtenteils konstruktive öffentliche Diskussion: Das Interesse am neuen Stromgesetz – dem Elektrizitätswirtschaftsgesetz, das die Grundlage für die Strominfrastruktur in Österreich bildet – ist äußerst hoch. Warum das so ist und worum es geht, erläutert in einem Gastkommentar Christian Tesch, Geschäftsführer von oecolution.
Stromnetz braucht Update
Das hohe Interesse ist berechtigt: Das rechtliche Betriebssystem für das Stromnetz ist 20 Jahre alt. Ein umfassendes Update ist dringend notwendig.
In den 20 Jahren hat sich viel getan: Erneuerbaren Energieträger wurden ausgebaut, in manchen Wochen erreicht Österreich bereits das 100%-Ziel. Daraus ergibt sich eine Dezentralisierung der Einspeisung in das Netz, die ihrerseits als große Herausforderung gilt. Die fortschreitende Digitalisierung bietet andererseits große Chancen für effizienten Einsatz von Energie und Steuerung des Verbrauchs.

Windkraftanlagen: Strom aus erneuerbaren Energie im Netz. Foto: BMLF / Paul Gruber
Alle sind betroffen
Betroffen von den Reformen ist das gesamte Ökosystem Strom: Vom größten Wasserkraftwerk bis zur kleinen Solaranlage, vom größten Industriebetrieb bis zum kleinen Haushalt, von der Hochspannungsleitung bis zum Zählerkasten. Verständlich also das große Interesse, die Vielzahl an Stellungnahmen.
Regierung muss das Ganze in den Blick nehmen
Dominiert wurde die öffentliche Diskussion von wenigen Details, getrieben von Interessenvertretungen. Dass diese die Interessen ihrer Mitglieder vertreten, ist logisch und auch legitim. Der Gesetzgeber muss aber das große Ganze im Blick haben: eine Systematik, die allen Anforderungen – vor allem nach möglichst günstigem Strom für Haushalte und Betriebe – gerecht wird.
Die Bundesregierung, federführend Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer und Energie-Staatssekretärin Elisabeth Zehetner, hat einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der dies leistet. Dies wird in den allermeisten Stellungnahmen auch anerkannt.

Photovoltaik ist ein Erfolg und wird sich weiterhin lohnen. Foto: Photovoltaik Austria
Netz erfordert Ausbau
Klar ist: das Stromnetz muss in den nächsten Jahren massiv ausgebaut werden. Zum einen, weil wir deutlich mehr Strom (statt Öl und Erdgas) brauchen werden. Und zum anderen, weil sich die Struktur des Systems massiv ändert: statt wie bisher wenige Erzeuger (große Kraftwerke) gibt es immer mehr kleinere (Solar, Windkraft und andere) Stromproduzenten.
Ausgleich für schwankende Produktion
Die Erzeugung von Strom durch Sonne und Wind erfolgt nicht so gleichmäßig wie etwa durch ein Gaskraftwerke. Richten wir unser Stromnetz an den Spitzenzeiten der Produktion (etwa mittags an einem wolkenlosen und windigen Sommertag) aus, wird es richtig teuer, dafür ausreichend Leitungen zur Verfügung zu stellen. Und es wäre ineffizient. Die Kosten dafür werden übrigens auf alle Nutzer aufgeteilt – und diese Netzkosten sind ein großer Anteil auf der Stromrechnung. Würde maximal-dimensioniert ausgebaut, wäre Strom für alle teurer als notwendig.

Austrian Power Grid: Leitungen und Umspannwerke – das Rückgrat der Stromversorgung. Foto: APG
Auslastung gleichmäßig verteilen
Ein großes Ziel ist also, die Auslastung des Netzes möglichst gleichmäßig zu verteilen und Spitzen in der Produktion etwas abzuflachen. Die Digitalisierung bietet technischen Lösungen, das neue Stromgesetz schafft den regulatorischen Rahmen dafür. „Netzdienliches Verhalten“ ist das große Leitmotiv des Gesetzesentwurfs.
Vieles zahlt darauf ein: Intelligente, digitale Messpunkte, dynamische Tarife, bidirektionales Laden, Besserstellung für Speicher, Direktleitungen von Kraftwerken zu Unternehmen, Energiegemeinschaften und einiges mehr.
Sorgen wegen zweier Maßnahmen
Wegen zweier Maßnahmen, die gegen hohe Spitzenbelastungen wirken, gab es Kritik und Sorge. Auf den ersten Blick verständlich aus der Sicht der Betroffenen, auf den zweiten Blick aber sinnvoll und Kosten sind teils vermeidbar.

Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer: größte Reform seit 20 Jahren. Foto: Bka/R. Aigner
Speichern spart Entgelt
Die Spitzenkappung (in geringem Ausmaß) lässt sich vermeiden, wenn man bei Spitzen an Erzeugung diesen Strom nicht in das Netz einspeist sondern speichert. Batterien und andere Speicher werden von den Netzgebühren befreit.
Geringes Entgelt für Leitung
Und Netzentgelte für Einspeiser sind durchaus gerecht, denn derzeit werden 90 % der Netzkosten von den Verbrauchern getragen. Allerdings sind weitere Investitionen in das Stromnetz auch wegen der Erzeuger notwendig. Auch hier gilt: Wer Überproduktion speichert, muss nicht einspeisen. Aber die Entgelte werden ohnehin moderat sein, wie die E-Control bereits angekündigt hat. Außerdem wird die direkte Weitergabe („peer-to-peer“) an Nachbarn endlich möglich, und das ohne Netzentgelte.
100 Betreiber koordinieren
Ebenfalls wichtig für den Netzausbau: Bessere Koordination, indem die Netzbetreiber ihre Ausbaupläne regelmäßig vorlegen und abstimmen müssen. Das sind immerhin über 100 an der Zahl (eigentlich unverständlich in einem Quasi-Monopol – aber das ist ein anderes Thema). Und der Zeitraum für die Abschreibung von Investitionen in das Netz wird gestreckt, was die laufenden Kosten verringert.

Seit 2 Jahren in Betrieb: Verbund-Batteriespeicher in Diespeck/Bayern. Foto: Verbung
Mehr Wettbewerb und Übersicht
Das neue Stromgesetz bringt auch mehr Wettbewerb für Private. Die unlesbaren Rechnungen müssen übersichtlicher werden, eine monatliche Abrechnung wird möglich und auf der Rechnung wird auf den Tarifkalkulator hingewiesen, mit dem man Anbieter einfach vergleichen kann. Das wird Druck auf die Großen machen, günstigere Tarife anzubieten.
Größere Energieversorger müssen verpflichtend auch dynamische Tarifmodelle anbieten: Kunden können Strom zu jenem Zeitpunkt verbrauchen, zu dem viel Strom verfügbar ist. Das ist billiger und netzdienlich.
Netzdienliches Verhalten ist das Ziel
Zusammengefasst kann man also sagen: Netzdienliches Verhalten zu fördern – bei Erzeugung, Speicherung und Verbrauch – ist das große Leitmotiv des neuen Stromgesetzes. Physik und Ökonomie statt Ideologie und Wunschdenken sind die Grundlage, ein großer Unterschied zu den gescheiterten Versuchen der letzten Jahre.

Nur wenige Cent für Einspeisung: Staatssekretärin Elisabeth Zehetner. Foto: Holey
Systemwidriger Sozialtarif
Einziger Wermutstropfen: Der Sozialtarif. Unternehmen werden gesetzlich gezwungen, bestimmte Preise anzubieten. Das ist energiepolitisch wenig relevant, aber ordnungspolitisch schlicht systemwidrig. Wenn man eine Unterstützung für sozial Schwache als sozialpolitisch notwendig hält, gibt es geeignetere Instrumente. Dies noch zu ändern, scheint aber unrealistisch, bestehen doch die SPÖ und ihr nahestehende Organisationen vehement auf sogenannten Sozialtarifen.
Wie geht es weiter?
Konstruktive Vorschläge aus der Begutachtung können eingearbeitet werden, ohne die neue Systematik und Ziele aufzugeben. Dann braucht die Bundesregierung noch die Zustimmung zumindest einer weiteren Parlamentspartei für die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit. Das sollte inhaltlich machbar sein, trotz des steten Risikos politischer Kleinkrämerei.

Das neue E-Gesetz kommt im Herbst in das Parlament. Foto: Johannes Zinner
E-Controll muss rasch Regeln präsentieren
Dringend notwendig ist es, durch klare Spielregeln der E-Control mögliche Unsicherheiten zu beseitigen. Diese Regeln sollten rasch nach Parlamentsbeschluss geschaffen werden. Die Position der E-Control wird durch das geplante Gesetz gestärkt. Damit muss sie verantwortungsvoll umgehen.
Investitionen in Erneuerbare zahlen sich auch im neuen Strommarkt aus. Zurzeit herrscht allerdings Zurückhaltung, weil die Rahmenbedingungen zu unklar sind. Dem Gesetz müssen also unmittelbar die Regeln und Tarife der E-Control folgen – dann können Investoren wieder fundierte Renditeberechnungen anstellen und Investitionsentscheidungen treffen. Diese braucht Österreich – für die Energiewende und für das Wirtschaftswachstum.
Zum Autor: Christian Tesch ist Geschäftsführer der Klima-NGO oecolution, die sich für eine Klimawende mit Vernunft und Marktwirtschaft einsetzt.
