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Spitzel-Methoden gegen Kanzler Kurz: Deutsche „Welt“ rechnet ab
Einen kritischen Blick auf den Ibiza-Ausschuss wirft der deutsche Schriftsteller Joachim Lottmann. In Österreich würden die Vorgänge in Institutionen und Medien aus dem Ruder laufen, die Balance zwischen Justiz und anderen Säulen der Demokratie gehe verloren, schreibt Lottmann. Österreich werde allmählich zu einer Operettenrepublik. Zur-Sache.at präsentiert eine Zusammenfassung des Essays auf Welt.de
Ausschüsse als Bühne für geltungssüchtige Parteikader
Eine treffliche Beschreibung der misslichen Zustände rund um das Ibiza-Video und seine beschämenden Folgen trifft der in Berlin und in Wien lebende deutsche Schriftsteller Joachim Lottmann in der renommierten deutschen Tageszeitung Die Welt. Er schildert die um den Ibiza-Untersuchungsausschuss herrschenden Umstände gänzlich anders als die Opposition und die meisten Berichterstatter, nämlich kritisch. Und er bezeichnet die Untersuchungsausschüsse des Nationalrates als „beliebte Bühne, um sich zu profilieren“, als „eine Art Burgtheater für geltungssüchtige Parteikader“.
Politiker abgefüllt und abgehört
Der in Hamburg geborene Schriftsteller Lottmann beginnt seinen Essay für die Die Welt mit einer Darstellung dessen, was der Ausgangspunkt war: Zwei Politiker wurden auf Ibiza abgefüllt und abgehört, sie wurden schlicht bespitzelt. Diese Methode erinnere ihn, Lottmann, an Fürst Metternich (1773-1859), der im historischen Österreich den ersten Spitzel-Staat der Welt schuf, ein System „maximaler Kommunikationsabschöpfung“. Ähnlich sei es mit dem Ibiza-Video gelaufen. Dessen Herstellung fänden die Österreicher nicht skandalös, denn das Ausspionieren spiele die entscheidende Rolle, eben wie unter Metternich und in der – kommunistischen – Deutschen Demokratischen Republik (DDR, 1949-1990): Ein Heer von Beamten entwickelt stets neue Methoden, Briefe heimlich zu öffnen, auszuwerten und der Justiz zu übergeben. Heute würden 300.000 abgetippte Chats für Verdachtsmomente und Hausdurchsuchungen genutzt werden: „Die Metternich-Typen machen ihren Job“.
Der Österreicher scheint kein Gefühl für Gerechtigkeit zu haben
Und in dieser Tradition stehen Österreichs Untersuchungsausschüsse, einer „Art Burgtheater für geltungssüchtige Parteikader“. Die Verfahren dauern, anders als in Deutschland, „schier endlos“. Die Beschuldigten wüssten nach Jahren nicht, ob sie ins Gefängnis müssten. Deren Leben ist ruiniert, doch „in der Gesellschaft und den Medien gibt es dafür kein Problembewusstsein“, oder „platter gesagt“, wie Lottmann schreibt: „Der Österreicher scheint kein Gefühl für Gerechtigkeit zu haben.“
Fragen, bis der Politiker fast heult
Jetzt laute der Vorwurf an Bundeskanzler Sebastian Kurz, er soll in einer vierstündigen tumultartigen Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss gesagt haben, die Bestellung von Thomas Schmid zum Chef der Verstaatlichten-Holding nicht entschieden zu haben. Da sich Schmid in einer sms an Kurz aber bedankt habe, prüft nun die Justiz, ob sich mit Schmid jemand bei Kurz für ein Geschenk bedankt habe. Die Opposition meine daher, so Lottmann, Kurz soll die politische Bühne verlassen. Die Medien, so Lottmann, übernähmen diese Tonlage, hätten sie doch wegen Inseraten und Reichweiten ein stetes Interesse an Neuwahlen. Und ein auch in Deutschland bekannt gewordener Interviewer würde Antworten von Politikern ignorieren und seine Fragen wiederholen, bis der Politiker „fast heult“. Das sei die „sogenannte Armin-Wolf-Methode“.
Auf dem Weg zur Operettenrepublik
Institutionen und Medien würden, wie Lottmann meint, „aus dem Ruder laufen“. Die Balance zwischen Justiz und den übrigen Säulen der Demokratie gehe verloren. Österreich, so Lottmann, werde damit zwar nicht zu einer Bananen-, aber doch Operettenrepublik.
Anmerkung: Der Essay von Joachim Lottmann ist am 26. Mai unter dem Titel „Die Methode Metternich“ auf Welt.de kostenpflichtig erschienen. Die in Klammer gesetzten Jahreszahlen wurden von der Redaktion eingefügt.