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Politischer Islam: Kritik an der Kritik
Wissenschafter und Regierungsmitglieder haben nach der Vorstellung der sogenannten „Islamlandkarte“ unter anderem Morddrohungen erhalten. Das gibt Anlass zu Sorge und Debatte: Wenn sachliche Informationen und kritische Auseinandersetzung mit einer Religion teils zu Morddrohungen führen, muss über die Gründe für die Morddrohungen gesprochen werden. Eine Analyse von Zur-Sache.
Vergangene Woche wurde eine Übersicht der Dokumentationsstelle politischer Islam präsentiert – als „Islamlandkarte“ betitelt soll sie unter anderem über Organisationen und Vereine informieren, die in einer Verbindung zum politischen Islam stehen.
Seine abzulehnenden Facetten zeigt der politische Islam etwa in antisemitischen Auswüchsen. Besonders sichtbar war dies vor wenigen Wochen während der Proteste gegen Israel, die auch in Wien erfolgten. Im ganzen deutschsprachigen Raum wurden diese Proteste von Akteuren der „Grauen Wölfe“ oder der Bewegung Millî Görüş unterstützend begleitet.
Gegen derartige Ausschreitungen und Strömungen aufzustehen und Kritik zu äußern, sollte selbstverständlich sein. Für Antisemitismus gibt es keine Argumente, dieser muss bekämpft werden, egal von welcher Seite er kommt. Dabei stellen Forscher wie auch Statistiker vermehrt fest, dass viel an Antisemitismus aus Kreisen des Islam kommt, auch in Europa. Bedenklich wird es bei aller hier garantierten Religionsfreiheit dann, wenn diese als Vorwand und Möglichkeit genutzt wird, um Parallelgesellschaften oder extremistische Strömungen aufzubauen. Dabei muss es völlig gleichgültig sein, ob es sich bei den Urhebern um Christen, Moslems, Juden oder sonstige Glaubensgemeinschaften handelt.
Kritik mit Drohungen beantwortet
Zur Debatte um den politischen Islam gehört auch die Auseinandersetzung mit jenen Moslems und Islamforschern, die sich öffentlich gegen radikale Strömungen ihres Glaubens stellen: Es sind Persönlichkeiten wie Syran Ates, Mouhanad Khorchide und Ednan Aslan, die einen progressiven, „liberalen“ Islam forcieren. Sie alle mussten mit Drohungen leben lernen, weil sie sich als Wissenschafter, als Theologen oder als Juristen gegen die fundamentalistischen Strömungen des Islam aussprachen und etwa für die Gleichberechtigung der Frau im Islam eintreten.
Den drei genannten Personen ist eines gemein: Alle erhalten sie Polizeischutz, weil sie Kritik übten, die dann nicht mit Argumenten sondern mit Drohungen beantwortet wurde.
- Ednan Aslan, Professor für islamische Religionspädagogik in Wien, steht seit der Vorstellung der „Islamlandkarte“ unter Polizeischutz; schon zuvor war er im Zuge seiner Arbeit und kritischen Auseinandersetzung mit dem Islam immer wieder mit Drohungen konfrontiert.
- Mouhanad Khorchide, Islamwissenschafter zuerst in Wien und jetzt in Münster, erhält seit Jahren Polizeischutz: Khorchide setzt sich in seiner Arbeit als Islamwissenschaftler und Religionspädagoge kritisch mit dem Islam und dessen Vermittlung auseinander. Er studierte zunächst in Wien, fiel immer wieder mit Kritik an den Strukturen des Islams durch seine Forschung auf. Offizielle Vertretungen des muslimischen Glaubens distanzierten sich von Khorchide.
- Syran Ates, Rechtsanwältin in Berlin, hat 2017 die erste Moschee im europäischen Raum eröffnet, in der auch Frauen predigen dürfen und beide Geschlechter gemeinsam den Gottesdienst feiern. Das brachte ihr umfassende Kritik aus der muslimischen Welt ein. Ates steht unter Polizeischutz. 1984 wurde sie von einem Angehörigen der „Grauen Wölfe“ lebensbedrohlich verletzt, dessen Frau sie in einem Scheidungsverfahren vertrat.
Unter Hinweis auf den Polizeischutz, ihre „Schutzengel“, verwies Ates kürzlich bei der Eröffnung der Europäischen Toleranzgespräche auf einen wesentlichen Unterschied zwischen Ländern wie Österreich und Deutschland einerseits und manch anderen Ländern: Dort würde die Polizei jene Menschen, die ihre kritische Meinung äußern, abholen. Hier, in Deutschland und Österreich, würde die Polizei hingegen jene Menschen schützen, die wegen ihrer Meinung Drohungen erhielten.
Diese Fälle zeigen auf, worum es geht: Ein politisches oder religiöses System, das so radikal ist, dass die offene Kritik an eben diesem System dazu führt, Morddrohungen zu erhalten, darf und muss diskutiert werden – auch kritisch.
Um welche Organisationen geht es in der Landkarte?
Millî Görüş
Im Überblick der Dokumentationsstelle werden unter anderem Einrichtungen aufgelistet, die der Bewegung Millî Görüş nahestehen. Deren ehemaliger Vorsitzender vertrat im Mai 2021 eindeutig antisemitische Positionen: „…Und einer Behauptung unseres Erbakan Hoca nach haben sie den 1. Weltkrieg und den 2. Weltkrieg nur hervorgerufen, um das Land vom Nil bis zum Euphrat unter ihre Herrschaft zu bringen. Ich glaube das […], dass dieser Zionismus für die Völker der Welt und für den Weltfrieden ein Problem ist, muss die ganze Welt erfahren.“
Aus internen Papieren geht hervor, dass sich die Organisation eher gegen ein gemeinsames Zusammenleben der verschiedenen Religionen stellt: „Wir glauben, dass muslimische Kinder in einen muslimischen und christliche Kinder in einen christlichen Kindergarten gehören.“ Millî Görüş betreibt in Wien mehrere Kindergärten. Weiter heißt es: „Wir erwarten, dass muslimische Jungen und Mädchen an einem Sportunterricht teilnehmen, der den Regeln der islamischen Religion entspricht. Wenn dies nicht möglich ist, sollen unsere Kinder vom Unterricht befreit werden.“
Zwischen der Millî Görüş und der Muslimbruderschaft eindeutige Verbindungen erkennbar. Hochrangige Vertreter sind in beiden Organisationen vertreten. In Ägypten etwa ist die Muslimbruderschaft als Terrororganisation eingestuft, in westlichen Ländern betrachtet man sie auch ohne diesen Status als Herausforderung für den Rechtsstaat.
Graue Wölfe
Die Grauen Wölfe sind die zweite Organisation die im Überblick der Islamlandkarte vorkommen. Charakteristisch für die Grauen Wölfe ist eine rassistische, gewaltverherrlichende, rechtsnationalistische und teilweise islamistische Ideologie. Rund um die Gedenkveranstaltung im KZ Mauthausen 2016 fiel ein Funktionär der Grauen Wölfe damit auf, dass er auf einem Gedenkstein in Mauthausen den in Österreich verbotenen Wolfsgruß zeigte.
ATIB
Eine dritte Organisation, die in der Landkarte auftaucht, ist die „ATIB“. Dabei handelt es sich um den de facto Ableger der türkischen Religionsbehörde. Bei der ATIB steht immer wieder der Vorwurf im Raum, dass so die türkischen Behörden und Politik direkt Einfluss auf die Muslimische Glaubensgemeinschaft in Österreich nehmen.
So hält etwa der türkische Botschaftsrat nicht nur ein Büro in der ATIB-Zentrale in Wien, und regelmäßig die Freitagspredigt in ATIB-Moscheen. Somit übt ein türkischer Diplomat direkten Einfluss auf Muslime in Österreich aus.
Auch die Familien- und Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) erhielt nach der Vorstellung der „Islamlandkarte“ teils wüste Morddrohungen. In Richtung der Kritiker an ihrer Arbeit und derer der Islamwissenschaftler sagte Raab, Integrationsprobleme zu verstecken sei der falsche Weg.
In der deutschen Tageszeitung „Die Welt“ wurde im Zuge der Diskussion um die Islamlandkarte ein Artikel publiziert, der Österreich als Versuchslabor gegen politischen Islam bezeichnete. Der Verfasser analysierte: „In Deutschland beginnt die Politik von Österreich zu lernen – langsam.“
Noch ein Hinweis der Redaktion: Wegen einer technischen Umstellung wird die Islamlandkarte voraussichtlich erst wieder ab Montag, 7. Juni online gestellt, der Zugang soll weiters erst nach einer Registrierung möglich sein. Die Informationen der Islamlandkarte waren vorige Woche in Wien von mißbräuchlich verwendet worden, um Moscheen mit Schildern zu kennzeichnen. Diese Schilder wurden von der Müllabfuhr entfernt. Behörden vermuten rechtsextreme Kreise hinter dieser Aktion und dem Mißbrauch der Informationen zum Islam in Österreich.