Europa- & Aussenpolitik

„Die Schulden müssen in Europa wieder sinken“

Foto: BMF/Dunker

Die Corona-Hilfen für Arbeitnehmer und Unternehmen aus öffentlichen Mitteln haben sich bewährt, sagt Finanzminister Gernot Blümel im Sommer-Interview mit Zur-Sache. Allerdings sollte Österreich ebenso wie andere europäische Staaten die Verschuldung wieder zurücknehmen. Am Comeback-Plan für die Wirtschaft werde gearbeitet, sagt Blümel.

 

Großer thematischer Bogen

Das Sommer-Interview nutzte Finanzminister Blümel für einen breiten thematischen Bogen, denn er war einerseits intensiv mit der Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie befasst, andererseits stand er wegen verschiedener Ermittlungen im Blickpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit. Damit beginnt denn auch das Interview.

Herr Bundesminister, wie haben Sie den Sommer erlebt?

Nach einem sehr anstrengenden Halbjahr und einem intensiven Jahr 2020 war ich dankbar, im Sommer etwas abschalten zu können und Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Wir waren in Tirol und Niederösterreich, damit meine Tochter nach dem Covid-Jahr etwas Zeit mit ihren Großeltern verbringen konnte.

Neben der Bewältigung der Covid-Krise standen Sie heuer im Dauerfeuer durch Opposition und einzelne Medien. Wie steckt man das als Politiker weg?

Es war keine angenehme Situation, besonders für meine Familie nicht. Als Politiker gewöhnt man sich an die Mechanismen pauschaler Kritik. Leider ist man auch mit Drohungen konfrontiert, die Veröffentlichung privater Daten wie Handynummern kommt verschärfend hinzu. Was mir leidtut, ist, dass durch Anfeindungen mir gegenüber meiner Familie und Mitarbeiter in Mitleidenschaft gezogen werden.

Wie herausfordernd ist es, auf Attacken, etwa im U-Ausschuss, zu reagieren aber gleichzeitig während der Pandemie komplexe politische Aufgaben zu bewältigen?

Das war anfänglich äußerst beanspruchend, weil es eine völlig neue Situation war. Aber man lernt schnell damit umzugehen. Diese Attacken sind ein politisches Hintergrundrauschen, wie ein Tinnitus. Man darf sich nicht permanent damit beschäftigen oder davon ablenken lassen. Die Menschen haben andere Sorgen und um diese habe ich mich zu kümmern.

 

40 Milliarden Euro an Hilfen zugesagt oder ausbezahlt

Während der Corona-Pandemie sind rund 40 Milliarden Euro für Hilfen zugesagt oder ausbezahlt worden. Wie wirkt sich das auf das Budget aus?

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie werden noch länger im Budget spürbar sein. Für Gesundheit, für die Unterstützung der Wirtschaft und der Arbeit wurden umfangreiche Mittel bereitgestellt. Wirtschaftsforschungsinstitute bestätigen, dass dadurch Arbeitsplätze und Betriebe gerettet wurden. Wir sehen jetzt erste positive Tendenzen durch die Öffnungen. Dank besserer Beschäftigung steigen die Einnahmen aus Lohnsteuer und Arbeitslosenversicherung. Die Wirtschaftsprognosen sind gut. Aber das beste Konjunkturprogramm ist nach wie vor die Impfung. Wer geimpft ist, schützt seine Gesundheit sowie Arbeitsplätze und Unternehmen.

Diese Hilfen haben im Bundeshaushalt ein Rekord-Defizit verursacht. Wie kann man das wieder abtragen?

Jedenfalls nicht, wie manche meinen, mit Vermögenssteuern. Diese treffen den Mittelstand. Natürlich haben wir auch im internationalen Vergleich viel Geld in die Hand genommen, um die Folgen der Pandemie zu bewältigen. Österreich konnte sich das wegen seiner soliden Budgetpolitik der vergangenen Jahre leisten, die Republik erhält auf den Finanzmärkten eine gute Bewertung. Deshalb finanzieren wir uns trotz Rekordausgaben vergleichsweise günstig, müssen aber nach der Krise wieder zu einer soliden Haushaltspolitik kommen. Wir starten aktuell die Budgetverhandlungen für das Jahr 2022. Ziel muss es sein, Schulden zu reduzieren und die Maastricht-Kriterien einzuhalten. Das ist die beste Krisenvorsorge und gilt für alle Staaten der Eurozone.

 

Wirtschaft erreichte Niveau wie vor der Krise

Sie haben das Auslaufen der Corona-Hilfen angekündigt und manche davon adaptiert. Wann ist es genug?

Wir liegen derzeit in allen Wirtschaftssektoren wieder auf Vorkrisenniveau. Gleichzeitig gibt es immer noch Betriebe, wo der Aufschwung noch etwas länger dauern wird. Wir werden weiterhin Unternehmen unterstützen, die besonders unter der Krise leiden. Deswegen haben wir etwa Ausfallsbonus, Verlustersatz und Kurzarbeit adaptiert und verlängert, damit sie treffsicher bei jenen ankommen, die es auch wirklich benötigen. Der „Einstieg in den Ausstieg“ aus den Corona-Hilfen ist nicht ganz trivial. Grundsätzlich sollte der Staat nicht permanent mit Steuergeld aushelfen und auch die Unternehmer wollen wieder selbstständig unternehmerische Verantwortung übernehmen.

Dem Koalitionspartner ist die ökosoziale Steuerreform ein wichtiges Anliegen. Wie stehen Sie dazu?

Ich bin froh, dass wir einen Koalitionspartner haben, mit dem wir das Konzept der ökosozialen Marktwirtschaft umsetzen können. Viele Menschen wissen nicht, dass die ökosoziale Marktwirtschaft ein ÖVP-Konzept ist, das aus drei Säulen besteht: Aus einer freien Marktwirtschaft, die Gewinne erwirtschaftet, die dann verteilt werden können, aus einem sozialen Ausgleich als zweiter Säule und der ökologischen Nachhaltigkeit als dritter Säule. In der öffentlichen Debatte wird auf die erste Säule zu wenig Wert gelegt, obwohl man nur etwas etwa für Nachhaltigkeit umverteilen kann, was zuerst erwirtschaftet worden ist. Wir werden darauf achten, dass die Wirtschaft weiterhin Gewinne erwirtschaften kann und die Menschen entlastet werden.

Arbeitende steuerlich entlasten

Wird die ökosoziale Steuerreform den Mittelstand be- oder entlasten?

Mit uns wird es keine linken Fantasien von Mehrbelastungen für den Mittelstand geben. Wir wollen jene Menschen entlasten, die arbeiten. Die Leistungsträger dürfen nicht unter die Räder kommen. Genauso wichtig wie der ökologische Umstieg ist die soziale Komponente, daher müssen wir die Entlastung der Menschen immer mitnehmen. Es braucht zudem Anreize für jene, die bei Verkehrsmitteln umsteigen können, aber keine Strafe für jene, die zum Auto keine Alternativen haben. Ökologie darf nicht zur reinen Ideologie werden.

Sie plädieren in der EU für eine Rückkehr zu verantwortungsvoller Budgetpolitik. Was planen Sie?

Es war sinnvoll, die Schuldenregeln während der Coronakrise auszusetzen, um den Menschen und der Wirtschaft in Europa bestmöglich zu helfen. Aber eine Krise ist temporär, daher müssen auch die Ausnahmen temporär sein. Zwar wollen manche das Schuldenmachen salonfähig machen, aber wir sind der Meinung, den Pfad der Nachhaltigkeit in den öffentlichen Finanzen nicht zu verlassen. Die Schuldenstände sollen in Europa relativ zum BIP mittel- und langfristig wieder substanziell gesenkt werden. Deswegen formieren wir auf EU-Ebene eine „Allianz der Verantwortung“ unter gleichgesinnten Staaten. In der EU ist es gelungen, von 2012 bis 2019 konnten die öffentlichen Schuldenstände von 94 % auf 86 % der Wirtschaftsleistung zu vermindern. Diesen Weg sollten wir nach der Krise wieder einschlagen, um Wachstum und Stabilität in Europa zu ermöglichen und Vorsorge für die nächste Krise zu treffen. Diejenigen, die glauben, es kämen keine Krisen mehr oder die Zinsen würden dauerhaft niedrig bleiben, betreiben ein gefährliches Spiel.

 

Auch Wien sollte Gebührenerhöhung aussetzen

Zurück nach Österreich: Sie haben für den Bund eine Gebührenbremse verordnet, in Wien steigen hingegen die Gebühren weiter an. Was sagen Sie als Wiener ÖVP-Parteiobmann dazu?

Auf Bundesebene haben wir seit 2011 die Gebühren für Reisepässe und ähnliche Leistungen der Verwaltung nicht mehr erhöht, auch heuer habe ich die Gebührenbremse angeordnet. Davon betroffen sind Bundesgebühren für neue Dokumente wie Personalausweis, Zulassungsschein, Reisepass und Führerschein aber auch Patentanmeldungen, Markenanmeldungen, Auszüge aus Registern, Baubewilligungen etc. Die Gebührenanpassung würde heuer in Summe rund 5 Millionen Euro betragen, seit 2011 wären es mehr als 60 Millionen Euro an Mehrbelastung für Bürgerinnen und Bürger. Die Gebührenbremse ist ein einfacher Schritt, um die Bürgerinnen und Bürger in einem immer noch herausfordernden Jahr zu entlasten. Auf Bundesebene entscheidet der Finanzminister über die Gebührenerhöhungen, in Wien hätte die Stadtregierung die Möglichkeit gehabt, ebenfalls eine Gebührenbremse zu ziehen. Es ist unverständlich, dass Wien die Steuerzahler mit Gebührenerhöhungen zur Kasse bittet. Damit werden Aufschwung und Wachstum in der Stadt gefährdet. Alle Wiener Haushalte und die Wiener Wirtschaft werden mit 50 Millionen Euro mehr belastet. Dieses Geld fehlt den Wiener Haushalten und der Wirtschaft. Auch die Neos waren immer gegen dieses „Teuerungsgesetz“. Ich hätte mir von ihnen erwartet, dass sie hier dagegenhalten.  Das ist ein Armutszeugnis für eine angeblich wirtschaftsliberale Partei.

Bundeskanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Werner Kogler und Finanzminister Gernot Blümel beim Sommerministerrat: Maßnahmen gegen Pandemie. Foto: BKA

Bundeskanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Werner Kogler und Finanzminister Gernot Blümel beim Sommerministerrat: Maßnahmen gegen Pandemie. Foto: BKA

 

Sie sind auch Regierungskoordinator. Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit in der Koalition?

Ich habe alle möglichen Koalitionsformen miterlebt: mit SPÖ, FPÖ und den Grünen. Die FPÖ ist am Ibiza-Video gescheitert, mit der SPÖ ist am Ende nichts mehr weitergegangen. Mit den Grünen läuft die Zusammenarbeit gut und professionell. Gemeinsam haben wir seit Beginn der Pandemie viel umgesetzt und arbeiten aktuell am wirtschaftlichen Comeback für Österreich. Natürlich haben wir unterschiedliche Herangehensweisen bei den verschiedensten Themen. Das überrascht aber weder die grüne Seite noch uns, noch die Beobachter. Dass die grüne Partei schon von ihrer Struktur her an Entscheidungen anders herangeht war schon vorher klar. Aber der wesentliche Punkt zur Frage ist klar: Wir arbeiten daran, das Regierungsprogramm umzusetzen. Das zählt.