Europa- & Aussenpolitik

Kriegswinter in der Ukraine

Krieg in der Ukraine und seine Folgen: Die Wracks von beschossenen und dann ausgebrannten Autos von Zivilisten stapeln sich an einem Waldrand bei Irpin. Foto: Kugler

Die Ukraine erlebt einen weiteren Kriegswinter. Der unabhängige und anerkannte Staat wurde am 24. Februar 2022 von Russland überfallen, Truppen marschierten ein, Spezialkräfte wollten Kiew einnehmen. Seither behauptet sich die Ukraine in einem verlustvollen Abnützungskrieg. Die Menschenrechtssprecherin der Volkspartei, Abg. Gudrun Kugler, hat Hilfen organisiert und das Land vor wenigen Tagen neuerlich besucht. Hier ihre Eindrücke vom zweiten Kriegswinter und der Bericht, wie ein junger Mann seiner Exekution entkam.

 

Tägliche Bombenangriffe, stets alarmbereit

Gemeinsam mit meiner Kollegin Ewa Ernst-Dziedzic von den Grünen war ich vier Tage lang in der Ukraine unterwegs.

Wir erlebten tägliche Bombenangriffe, Fahrten im Panzerwagen. Wir absolvierten eine komplizierte fast 24-stündige An- und wieder Rückreise, gekennzeichnet von Ausgangssperre und Flugverbot. Aber wir sahen auch unglaubliche Kirchen- und Kulturgüter, wie die Kathedrale der Heiligen Sophia. Und wir genossen wunderbaren Borschtsch (Suppe) und Vareniki (gefüllte Teigtaschen) in hippen Restaurants – doch alles stets auf Abruf aufgrund eines möglichen Bombenalarms.

 

Krieg bringt Verzweiflung und Depression

Die Menschen sind verzweifelt und deprimiert. Mittlerweile handelt es sich um über 660 Tage Krieg. Es ist ein Stellungskrieg mit unzähligen Toten. Die Unterstützung der Staatengemeinschaft schwindet.

Immer mehr Berichte über die besetzten Gebiete lassen den Schluss zu: Wo die Russen übernehmen, erleben die Menschen eine „Sowjetunion 2.0“. Traumatisierte Menschen brauchen psychologische Unterstützung. Geschätzte 30.000 ukrainische Kinder wurden nach Russland entführt und sind verschwunden. Russische Propaganda in ganz Europa bekommt immer mehr Gehör.

 

Kontakt gibt Zuversicht

Wir hatten ein dichtes Programm zu absolvieren. Der Kontakt mit internationalen Parlamentariern gibt den Menschen in der Ukraine Zuversicht, vermittelt Normalität. Das beiderseitige Interesse am Austausch von Informationen und Einschätzungen war äußerst stark. Verbundenheit wurde gepflegt.

Wir besuchten die Konferenz für Menschenrechte „Freedom from Fear“. Wir hatten Treffen mit dem Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko, den Journalisten Christian Wehrschütz und Denys Trubetskoy. Wir sprachen mit der stellvertretenden Vorsitzenden der Werchowna Rada (dem ukrainischen Parlament), Olena Kondratiuk, mit einer Vertreterin der Opposition, Ivanna Klympush-Tsintsadze, und mit dem Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses, Oleksandr Merezhko.

Die Parlamentarierinnen Ewa Ernst-Dziedzic und Gudrun Kugler in Kiew.

Vitalität und Behauptungswille

Die vielen Begegnungen und Unterredungen zeugten von der Vitalität und dem Behauptungswillen der Menschen in der Ukraine.

Gespräche führten wir mit dem Ombudsmann für Menschenrechte Dmytro Lubinets, weiters mit den ukrainischen Abgeordneten der OSZE PA, die ich mittlerweile schon recht gut kenne.

Zu unserem Programm gehörte ein Treffen mit dem katholischen Bischof von Kiew und dem Rektor des byzantischen Priesterseminars in Ushgorod. Wir besuchten die Kinderrettungs-NGO Save Ukraine und sprachen mit ihrem beeindruckenden Gründer Mykola Kuleba, wir besichtigten ein Kinderheim der Caritas und in ein Frauenhaus, das von der UNO finanziert wird.

Menschen pflegen ihre Hoffnungen, doch wir sahen auch Zerstörung. Wir besuchten die gesprengte Brücke von Irpin, sahen einen Autofriedhof von Fahrzeugen, die in Kampfhandlungen ausgebrannt sind, und die dortige völlig zerschossene Universität.

Teils mit dabei war der österreichische Jurist und Menschenrechtsanwalt Manfred Nowak. Sicher und perfekt versorgt waren wir aufgrund der ständigen Begleitung der österreichischen Botschaft unter der Leitung des hochgeschätzten Botschafters Arad Benkö.

 

Im Angesicht des Gewehrs

Zu den unfassbaren und tiefen Eindrücken gehört die bewegende Geschichte eines jungen Mannes, der seiner Exekution entkam:

In der Ukraine besichtigte ich Irpin, einen Vorort von Kiew, durch den 2022 die Frontlinie verlief. Dort sahen wir die teilweise völlig zerschossene und ausgebrannte Universität des Ortes. Wir trafen einen Uni-Assistenten, der während der russischen Belagerung über einen Monat lang am Uni-Gelände eingeschlossen war. Internet gab es im Gebäude nur ganz oben, im 7. Stock, wohin sich die Eingeschlossenen immer wieder wagten. Eines Tages erwischte ihn dort eine Granate.

Der junge Wissenschaftler kam leicht verletzt davon, rief jedoch umgehend bei den ukrainischen Behörden an, um sie zu informieren, dass russische Soldaten am Gelände waren. Und rannte zu den etwa 50 Kolleginnen und Kollegen im Keller. Die Frauen konnten sich in einem unterirdischen Kühlraum verstecken, während die Männer verhaftet wurden.

Nach einer Kontrolle der Anruflisten am Handy durch russische Soldaten wurde der junge Mann aus der Gruppe genommen und zur Exekution aus dem Gebäude geleitet. Ein Soldat legte im Innenhof sein Gewehr auf ihn an. Der Soldat fragte ihn nach Namen und Adresse. Als der Assistent seine Heimatadresse in Donezk nannte, senkte der Soldat sein Gewehr und ließ ihn laufen: Der Soldat kam aus der selben Straße einer Stadt, die seit 2014 von den Russen besetzt ist. Der eine – der Wissenschaftler – war damals nach Kiew gegangen, der andere war geblieben und wurde in die russische Armee eingezogen. Das ist die absurde Realität dieses Krieges.

Die wundersame Geschichte der Enthauptung der Fatimastatue finden Sie HIER.