Innenpolitik

Interview: Wie Minister Kocher die Langzeitarbeitslosigkeit reduzieren will

Minister Kocher zeigt sich erfreut über die geringe Arbeitslosigkeit, Foto: BKA/Florian Schrötter

Im Interview mit Zur-Sache spricht Arbeitsminister Martin Kocher über die Arbeitslosenversicherung Neu, die positive Entwicklung des Arbeitsmarktes, die Herausforderung Langzeitarbeitslosigkeit und wie Kurzarbeit noch beansprucht wird. 

 

Sie haben diese Woche angekündigt einen Reformdialog zur Arbeitslosenversicherung Neu starten zu wollen. Wieso gerade jetzt?

Der Arbeitsmarkt hat sich über den Sommer hinweg weitestgehend erholt von den Pandemiefolgen und besser entwickelt als ursprünglich erwartet. Mit derzeit rund 286.000 beim AMS arbeitslos gemeldeten Personen haben wir mittlerweile beinahe das Vorkrisenniveau erreicht. Daher ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um stärker in die Zukunft zu schauen und den Reformdialog über die Gestaltung der Arbeitslosenversicherung Neu zu starten.

 

Was erhoffen Sie sich von diesem Reformdialog? Wo sehen Sie Änderungsbedarf im aktuellen Modell?

Das derzeitige Modell der Arbeitslosenversicherung stammt im Wesentlichen in seinen Grundzügen aus dem Jahr 1949. Das heißt, das aktuelle Modell ist seit über 70 Jahren nicht substantiell reformiert worden. Ziele der Reform sollen sein, mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen, die Vermittlung von Arbeitsplätzen zu beschleunigen und eine bessere Einkommenssicherung für Arbeitslose zu erreichen. Mein Anspruch ist es, unterschiedliche Konzepte, Ideen und internationale Vorbilder in einem umfassenden, fakten- und evidenzbasierten Reformdialog zu diskutieren, mit Einbindung aller Institutionen und Personen. Letztlich soll dieser dann in einen Vorschlag zur Arbeitslosenversicherung Neu münden.

 

Sie wollen sich auch internationale Best-Practice Beispiele ansehen. Welche Modelle sind Vorbilder für Österreich?

Mir ist es wichtig, einen möglichst breiten Reformdialog zustande zu bringen und viele unterschiedliche Sichtweisen einzuholen. Das österreichische Modell unterscheidet sich fundamental von den Modellen anderer Länder. In vielen Ländern gibt es am Anfang höhere Ersatzraten und später geringere. Das Arbeitslosengeld ist in manchen Ländern stark gedeckelt, d.h. es gibt also gar keine Nettoersatzrate im engeren Sinn. In wieder anderen Ländern erreicht die Arbeitslosenversicherung nicht alle Arbeitslosen. Auch die Vermittlung von arbeitslosen Menschen auf Arbeitsplätze ist unterschiedlich geregelt. Ich möchte kein Einzelmodell herausgreifen, sondern mir letztlich verschiedene Systeme ansehen.

 

Soll im Rahmen der Debatte um die Arbeitslosenversicherung Neu auch eine Diskussion über Nebenverdienstmöglichkeiten für Arbeitslose geführt werden?

Jeder Vorschlag von Expertinnen und Experten ist wertvoll für den Diskurs. Fragen des Zuverdiensts sind natürlich ein relevanter Aspekt in der Arbeitslosenversicherung. Das wird ein Teil des Reformdialogs sein, aber bestimmt nicht der einzige.

 

Die Arbeitslosigkeit hat mittlerweile fast das Vorkrisenniveau erreicht. Wie erklären Sie sich diesen Rückgang? Haben wir die Krise überstanden?

Wir haben am Arbeitsmarkt tatsächlich eine fast atemberaubende Dynamik seit den Öffnungsschritten im Mai und Juni erlebt. Bei der Arbeitslosenquote sind wir nicht mehr weit von jener in 2019 entfernt – derzeit liegen wir nur noch um 7.000 Personen über dem Arbeitslosenniveau von 2019, vor der Krise. Natürlich befinden sich noch Menschen in Kurzarbeit, aber auch hier gehen die Zahlen deutlich zurück. Laut Wifo und IHS werden wir bei 8,5 bzw. 8,4 Prozent Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt am Ende des Jahres stehen.

 

Dennoch gibt es noch Herausforderungen am Arbeitsmarkt. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist zum Beispiel verhältnismäßig hoch. Wie kann man hier gegensteuern?

Es stimmt, dass im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit größere Herausforderungen bestehen als in anderen Bereichen. Wir tun bereits viel, wodurch es uns gelungen ist, seit dem Höhepunkt die Langzeitarbeitslosigkeit um 20.000 Langzeitarbeitslose zu reduzieren. Dennoch verzeichnen wir nach wie vor 128.000 Personen, die seit mehr als einem Jahr keinen Job finden. Mit dem Programm Sprungbrett steuern wir hier in Kooperation mit Unternehmen entgegen. Langzeitarbeitslose werden durch betriebsnahe Coachings auf den Einstieg in die Arbeitswelt vorbereitet und beim Jobeintritt unterstützt. Zudem sind auch im Rahmen der Corona Joboffensive, für die heuer und nächstes Jahr 700 Millionen Euro für Aus- und Weiterbildungsprogramme reserviert sind, Qualifizierungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose vorgesehen, um ihre Chancen zu verbessern, einen Job zu finden.

 

Phase 5 der Kurzarbeit ist mit Juli gestartet. Können Sie schon erste Einschätzungen abgeben, inwiefern die Kurzarbeit noch beansprucht wird?

Die Anmeldungen liegen derzeit bei rund 50.000. Wir liegen damit deutlich unter den ursprünglichen Erwartungen von 100.000-120.000 Anmeldungen. Das zeigt auch die deutliche Erholung am Arbeitsmarkt und dass der schrittweise Ausstieg aus der Kurzarbeit mit den zwei Modellen gelungen ist. Derzeit gibt es zwei Varianten der Kurzarbeit: die Corona-Kurzarbeit für Betriebe, die mehr als 50 Prozent Umsatzausfall haben und bei denen der gesamte Betrag der Kosten übernommen wird. Diese läuft bis Ende des Jahres. Und es gibt ein Modell für alle anderen Betriebe, wo die Förderhöhe um 15 Prozent niedriger ist. Dieses läuft bis Mitte nächsten Jahres, und es ist schon sehr nahe an der Kurarbeitsregelung, die es vor Corona gab. Die Gestaltung der zwei Modelle hat sich als sachgerecht erwiesen. Nun geht es darum, auch in den Bereichen der Wirtschaft, die sich noch nicht vollständig erholt haben, schrittweise wieder zur Normalität zurückzukehren.

 

Welche Branchen sind noch am meisten auf die Kurzarbeit angewiesen?

Ein Viertel aller in Kurzarbeit befindlichen Personen ist derzeit im Verkehrssektor und in der Lagerei beschäftigt, genau sind es 12.000. Eine Erklärung dafür ist die nach wie vor recht große Betroffenheit im Flugverkehr. Im Mai 2021 waren allerdings noch über 40.000 Personen im Verkehrssektor in Kurzarbeit. Man erkennt also auch hier erste Anzeichen der Erholung. Auch im Beherbergungswesen und in der Gastronomie sind die Zahlen seit der Wiedereröffnung drastisch zurückgegangen. Derzeit befinden sich hier nur noch rund 8.000 Personen in Kurzarbeit, im Vergleich zu 90.000 Personen im Mai. Im Handel hat sich die Lage ebenfalls deutlich gebessert. Es wird auch in Zukunft weiterhin Kurzarbeit geben. Gleichzeitig wird es aber notwendig sein, sich genau anzusehen, was aus betrieblicher und volkswirtschaftlicher Sicht Sinn macht. Entscheidend wird sein, wie sich die gesundheitliche Lage im Herbst entwickelt.