Regierung
Interview Köstinger: „Impfungen werden über Erfolg der Wintersaison entscheiden!“
Bundesministerin Elisabeth Köstinger zieht eine positive Bilanz über den Sommer-Tourismus und blickt optimistisch in Richtung Wintersaison. Warum eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung in der Gemeinschaftsverpflegung wichtig ist, was die neue Gemeinsame Agrarpolitik der EU für unsere Bäuerinnen und Bauern bringt und warum die Raumordnung in Hand der Länder bleiben soll, erklärt sie im ausführlichen Interview mit Zur-Sache.
Zur-Sache: Sind Sie mit der Sommersaison zufrieden? Hat sich Österreichs Tourismus-Branche wieder erholt?
Bundesministerin Elisabeth Köstinger: Wir alle haben uns sehnlichst auf diesen Sommer gefreut. Unsere Gäste genießen es, wieder die österreichische Gastfreundschaft zu erleben. Die Sommersaison läuft daher für die Urlaubsregionen wie erwartet sehr gut. Die Einnahmen von Mai bis Juli liegen um 24 Prozent über jenen im Vorjahr. Wir stellen auch fest, dass „Urlaub in Österreich“ auch bei Österreicherinnen und Österreichern weiterhin sehr beliebt ist. Viele Menschen haben in der Krise schätzen gelernt, wie schön unser Land ist und welche Vielfalt es für einen Urlaub bietet. Unsere Tourismusbranche erholt sich langsam wieder und das ist gut so. Bis zur Erreichung des Niveaus aus der Vorkrisenzeit ist es aber dennoch noch ein harter Weg.
Wie kann Österreichs Tourismus wieder zum Vorkrisenniveau kommen?
Österreich hat sich erfolgreich als sicheres Urlaubsland positioniert. Wenn wir auf Sicherheit und Qualität beim Reisen setzen, kommen wir wieder auf die Überholspur. Entscheidend ist, dass die Gäste die Sicherheitsmaßnahmen einhalten und Unternehmen diese auch streng überprüfen.
Angesichts der steigenden Infektionszahlen blicken viele Tourismus-Betriebe aber pessimistisch Richtung Herbst.
Ja, die Zahl der Neuinfektionen steigt derzeit. Das ist keine Überraschung, das war erwartbar. Entscheidend ist aber, dass die Zahl der Intensivpatienten niedrig bleibt. Unser oberstes Ziel war und ist, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten, dafür ist eine möglichst hohe Impfquote ein extrem wichtiger Faktor.
Wird es heuer eine Wintersaison geben?
Wir haben auch in diesem Sommer bewiesen, dass sichere Gastfreundschaft in Österreich möglich ist. Das verdanken wir unseren Tourismus-Betrieben, die alle notwendigen Sicherheitsmaßnahmen einhalten und ausgezeichnete Präventionskonzepte umsetzen. Genau so müssen wir weiter machen. Wir müssen alles dafür tun, um weiterhin nicht als Risikoland eingestuft zu werden. Das geht nur, wenn wir die Infektionslage unter Kontrolle behalten. Der Impffortschritt und die Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen sind dafür entscheidend. Klar ist: Eine möglichst hohe Durchimpfungsrate wird über den Erfolg der Wintersaison entscheiden. Daher richte ich einmal mehr den Appell an alle, die noch zögern: Bitte lassen Sie sich impfen!
Kommen wir zu einem anderen Thema: Der Gesundheitsminister fordert eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung von Lebensmitteln in der Gastronomie. Wie stehen Sie dazu?
Die Landwirtschaft kämpft seit Jahrzehnten für eine umfassende Herkunftskennzeichnung, deshalb haben wir das auch sehr genau im Regierungsprogramm vereinbart. Das ist eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung bei verarbeiteten Produkten und in der Gemeinschaftsverpflegung. Ich bin davon überzeugt, dass wir zuerst an den großen Schrauben, bei der Industrie und den Großküchen, drehen müssen, bevor wir über die kleinen Landgasthäuser reden. Aktuell ist es für die Konsumentinnen und Konsumenten sowohl beim Einkauf im Supermarkt, etwa bei Wurst oder Milchprodukten nicht nachvollziehbar, woher die Lebensmittel kommen. Das gleiche gilt für Kantinen, Großküchen oder das Essen in Spitälern oder Pflegeheimen. Dort brauchen wir volle Transparenz. Wenn der Gesundheitsminister das auch so sehen würde und sich an das Vereinbarte hält, sind wir morgen damit fertig. Leider steht er aber auf der Bremse. Eine Herkunftskennzeichnung darf kein Selbstzweck sein, sondern muss unter dem Strich den Konsumenten und den Bauern nützen. Wenn es bei den großen Mengen funktioniert, können wir danach gerne über weitere Schritte reden.
Immer mehr Menschen wollen wissen, woher ihre Lebensmittel kommen. Wie wollen Sie den Absatz von regionalen Produkten ankurbeln?
Unsere Bäuerinnen und Bauern produzieren tagtäglich Lebensmittel bester Qualität unter Einhaltung höchster Standards. Gerade die Coronakrise hat gezeigt, wie wichtig die verlässliche und sichere Versorgung mit Lebensmitteln ist. Die Menschen wissen das auch zu schätzen, wir haben im Vorjahr bei der Direktvermarktung bäuerlicher Produkte um 24 Prozent zugelegt, das ist eine enorme Steigerung und eine große Ermutigung für viele Betriebe, ihre Produkte direkt den Konsumenten anzubieten. Mit diesem Vertriebsweg bleibt auch mehr Wertschöpfung bei den Bauern, weil man sich nicht dem Handel ausliefern muss. Wir als Bund gehen hier auch mit gutem Beispiel voran: Unser Ziel ist die 100-prozentige regionale und saisonale öffentliche Beschaffung bei Lebensmitteln. Dazu haben wir die Initiative „Österreich isst regional“ gestartet und den „Aktionsplan Nachhaltige Beschaffung“ erarbeitet. Ob es sich um ein Pflegezentrum handelt oder um das Essen in Kindergärten und Pflichtschulen – wir wollen öffentliche Kantinen dabei unterstützen, Lebensmittel regionaler und saisonaler zu beschaffen. Wenn wir diesen Weg vom Bund bis hin zu jeder Gemeinde gehen, dann können wir Wertschöpfung in den Regionen halten und durch kurze Transportwege das Klima schützen.
Bleiben wir beim Thema Landwirtschaft: Ende Juni wurden auf EU-Ebene die Rahmenbedingungen für die Gemeinsamen Agrarpolitik ab 2023 geschaffen. Was bringt die neue GAP unseren Bäuerinnen und Bauern?
Wir haben lange und intensiv verhandelt. Der Ausgangspunkt war eine geplante Kürzung von 770 Mio. Euro für die österreichische Landwirtschaft. Wir haben diese Kürzung nicht nur verhindert, sondern in ein Plus von 35 Mio. Euro für die gesamte GAP-Periode umgewandelt. Das waren nächtelange Verhandlungen, aber damit ist unser erfolgreicher österreichischer Weg abgesichert. Wir werden unsere ganze Kraft weiterhin für die bäuerlichen Familienbetriebe einsetzen. Vom Berg bis zum Tal, vom Ackerbau bis hin zur Tierhaltung. Es war wirklich höchste Zeit für diese Einigung. Unsere Bäuerinnen und Bauern brauchen Planungssicherheit für die kommenden Jahre. Wir stellen die Erfolgsprogramme wie das Agrarumweltprogramm, Ausgleichszulage, Bio-Programme oder Tierwohlprogramme sicher. Wir sind bei diesen Programmen führend in Europa. Jetzt geht es darum, die GAP praxistauglich umzusetzen. Dafür schaffen wir bis Jahresende alle nötigen Grundlagen.
Gerade die Forstwirtschaft berichtet von immer schwierigeren Bedingungen. Extreme Wetterbedingungen und Schädlinge setzen zu. Wie wollen Sie hier entgegenwirken?
Die Situation wird für unsere Waldbäuerinnen und Waldbauern tatsächlich immer herausfordernder. Rund 53 Prozent der gesamten österreichischen Holzernte waren 2020 Schadholz. 37 Prozent gingen allein auf das Konto von Borkenkäfern. Um unsere Waldbäuerinnen und Waldbauern zu entlasten, haben wir das größte Investitionspaket in unsere Wälder, den Waldfonds in der Höhe von 350 Mio. Euro aufgelegt. Damit unterstützen wir die Wiederaufforstung zur Entwicklung klimafitter Wälder, zur Waldbrandprävention aber auch die Abgeltung von Borkenkäferschäden.
Welche Rolle spielen Österreichs Wälder beim Klimaschutz?
Österreich ist ein Waldland, eine natürliche Klimaanlage im Herzen Europas. Unsere Wälder liefern nicht nur den nachwachsenden Rohstoff Holz, sind Lebensraum für Pflanzen und Tiere, Erholungsraum für uns Menschen und sichern Arbeitsplätze in den Regionen – sie schützen auch vor Naturgefahren. Gerade die Unwetterkatastrophen der vergangenen Wochen haben gezeigt, wie wichtig der Aufbau von Schutzwäldern ist. Ein gesunder und stabiler Schutzwald ist die beste Absicherung vor Naturgefahren wie Muren oder Lawinen. Und er ist deutlich kostengünstiger als jede technische Maßnahme.
Sie haben sich in Salzburg persönlich ein Bild von den Unwetterschäden gemacht. Ist Österreich genug gegen Hochwasser geschützt?
Wer einmal gesehen hat, was solle Naturereignisse anrichten, der weiß, dass jeder Euro an Schutzmaßnahmen gut investiertes Geld ist. An dieser Stelle will ich aber auch sagen: Was die Einsatzkräfte und Freiwilligen in solchen Situationen leisten, das kann man nicht mit Geld aufwiegen, das ist herausragend. Ohne die Feuerwehren, den vielen ehrenamtlichen Helfern, aber auch ohne das Bundesheer wären solche Situationen nicht bewältigbar. Wir investieren jährlich rund 200 Mio. Euro in den Schutz vor Naturgefahren und unseren Schutzwald. Zusätzlich stellen wir 200 Mio. Euro bis 2027 für die Gewässerökologie und Renaturierung von Flüssen zur Verfügung. Es ist unseren Hochwasserschutzbauten und Rückhaltebecken zu verdanken, dass weitere dramatische Folgen in den vergangenen Wochen verhindert werden konnten. Hier möchte ich mich auch bei den Expertinnen und Experten der Wildbach- und Lawinenverbauung meines Ressorts bedanken.
Ein weiteres Thema, dass im Sommer hohe Wellen geschlagen hat, war der Vorstoß der NEOS, dass die Raumordnung zentralisiert werden soll. Sie haben das scharf kritisiert.
Mich hat der Mangel an Wissen bei den NEOS darüber, wie Raumordnung funktioniert, erschreckt. Wer vom Ferienhaus in Bad Aussee aus, Ratschläge zur Zentralisierung gibt, den kann ich nicht ernst nehmen. Es kann nicht sein, dass irgendjemand in Wien darüber entscheidet, welche Bauklasse ein Grundstück im Südburgenland oder im Ötztal hat. Die örtliche und überörtliche Raumordnung wird von Bundesländern gemacht und ist dort auch gut aufgehoben. Über Widmungen entscheidet der Gemeinderat. Das ist auch gut so, denn dieser kennt die Verhältnisse vor Ort am besten. Uns alle eint aber das Ziel, den Bodenverbrauch zu senken. Seit 2010 wurde die Zunahme halbiert. Im Regierungsprogramm ist das Ziel vereinbart, den Flächenverbrauch auf 2,5 Hektar bis 2030 zu reduzieren. Derzeit liegt er bei 11,5 Hektar pro Tag im Drei-Jahres-Schnitt. Für den 20. Oktober habe ich zur ersten Sitzung der Österreichischen Raumordnungskonferenz seit 10 Jahren eingeladen. Schwerpunkte werden die Erarbeitung einer Bodenschutzstrategie wie auch das neu konzipierte Österreichische Raumentwicklungskonzept sein. Ziel ist ein gemeinsames Handlungsprogramm für die räumliche Entwicklung Österreichs im kommenden Jahrzehnt.
Als Regionenministerin setzen Sie sich laufend für Chancengleichheit zwischen Stadt und Land ein. Wie wollen Sie das erreichen?
Menschen, die am Land leben, haben ein Recht und einen Anspruch darauf, dort möglichst gleichwertige Lebensbedingungen und Chancen vorzufinden. Sei es bei der Nahversorgung, bei der Verfügbarkeit von Breitband oder den Verkehrswegen. Das ist nicht immer leicht und braucht die enge Zusammenarbeit mit jenen, die vor Ort Verantwortung tragen, nämlich unseren Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern. Sie wissen, was es dafür braucht. Darum starte ich im Oktober eine Dialogtour. Unter dem Motto „MEINE REGION – Heimat. Zukunft. Lebensraum.“ möchte ich hören, welche Probleme für die Menschen drängend sind, in welchen Bereichen es den größten Handlungsbedarf gibt. Diese Erkenntnisse werden wir in die Erarbeitung von Maßnahmen der Bundesregierung aufnehmen. So kann ich als Regionenministerin auf Bundesebene mithelfen, dass die Menschen in allen Regionen Österreichs attraktive Lebensbedingungen vorfinden, egal in welcher Region sie leben.
Immer über die Landwirtschaft am Laufenden blieben: www.landwirtschaft.at
Mehr Infos zum Waldfonds: www.waldfonds.at
Mir sind regionale Lebensmittel wichtig: www.das-isst-österreich.at