Innenpolitik
Politik schluckt schwer an der Todespille
Wer wegen unheilbarer Erkrankung sterben will, erhält für den selbst vorzunehmenden Suizid künftig Assistenz. Dies sieht die Ministerialvorlage für den unter eng definierten Bedingungen straffrei bleibenden assistierten Suizid vor. Der Gesetzesentwurf wird ernstlich und intensiv diskutiert, einige Personen sprechen von einer äußerst schwierigen moralisch-ethischen Entscheidung. Zur-Sache dokumentiert hier das umfangreiche Medienpapier und in einem weiteren Beitrag die ersten Reaktionen.
Höchstgericht hebt Strafbarkeit der Beihilfe auf
Erforderlich wurde der vom Justiz-, vom Gesundheits- und vom Verfassungsministerium gemeinsam erarbeitete Entwurf wegen eines Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes. Dieser war von Rechtsanwalt Wolfram Proksch mit der Frage nach der Beihilfe zum Suizid für für schwer kranke Sterbewillige und hilfswillige Ärzte befasst worden. Mit seinem Erkenntnis vom 11. Dezember 2020 hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) die bisherige Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid für verfassungswidrig erklärt.
Neue Regeln ab 1. Jänner 2022
Die bisherige Regelung tritt mit 1. Jänner 2022 außer Kraft, bis dahin ist Zeit, eine neue Regelung samt begleitender Maßnahmen zu beschließen. Mit dem heute vorgelegten Entwurf zum Sterbeverfügungsgesetz und dem umfassenden Ausbau der Finanzierung der Hospiz- und Palliativversorgung entspricht die Bundesregierung diesem Auftrag.
Entwurf für Sterbeverfügungsgesetz
Der Verfassungsgerichtshof betont das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf freie Selbstbestimmung und das daraus abgeleitete Recht auf ein menschenwürdiges Sterben. Um diesem Recht zu entsprechen, legt die Bundesregierung ein Sterbeverfügungsgesetz vor, das regelt, unter welchen Voraussetzungen assistierter Suizid in Zukunft rechtlich möglich sein soll. Dabei wird ein gesetzlicher Rahmen geschaffen, der diese Materie mit der gebotenen Sensibilität regelt und den notwendigen Schutz vor Missbrauch sicherstellt. So sollen schwerkranke Personen Zugang zum assistierten Suizid erhalten. Gleichzeitig sollen etwa Jugendliche von dieser Möglichkeit ausgeschlossen sein und auch verhindert werden, dass Menschen unter Druck gesetzt werden, assistierten Suizid in Anspruch zu nehmen.
- Was regelt das Sterbeverfügungsgesetz? Das Sterbeverfügungsgesetz regelt, unter welchen Voraussetzungen in Zukunft assistierter Suizid möglich sein soll. Damit legt die Bundesregierung eine ausgewogene Regelung vor, die diesem sensiblen Thema gerecht wird. Für die Bundesregierung ist dabei zentral, ein selbstbestimmtes Sterben in Würde zu ermöglichen, den Betroffenen – sowohl der sterbewilligen Person als auch Hilfe leistenden Personen – Rechtssicherheit zu bieten und den notwendigen Schutz vor Missbrauch sicherzustellen. Um das zu erreichen wurde das Instrument der Sterbeverfügung geschaffen.
- Was ist eine Sterbeverfügung? Die Sterbeverfügung ist dem in der Praxis bewährten Instrument der Patient:innenverfügung nachgebildet. Sie ist höchstpersönlich, kann also nur selbst errichtet werden (keine Vertretung durch andere Personen möglich). Die Sterbeverfügung gilt als Nachweis darüber, dass sich jemand aus eigenem, dauerhaften Entschluss für die Möglichkeit des assistierten Suizids entschieden hat.
- Wer kann eine Sterbeverfügung errichten? Eine Sterbeverfügung kann jede dauerhaft schwerkranke oder unheilbar kranke Person errichten, die volljährig und entscheidungsfähig ist (also die Bedeutung und die Folgen ihrer Entscheidung versteht und dementsprechend handeln kann), wenn dieser Zustand für Person als nicht anders abwendbares Leiden empfunden wird. Minderjährige hingegen können keine Sterbeverfügung errichten.
Die Wege zu einer Sterbeverfügung
Wie kommen Personen zu einer Sterbeverfügung: Um einen dauerhaften, freien und selbstbestimmten Willensentschluss sicherzustellen, sieht das Gesetz Schutzmechanismen vor, die allerdings keine ungerechtfertigten Erschwernisse beinhalten sollen. Im Mittelpunkt steht die ärztliche Aufklärung, denn nur mit Aufklärung über die Konsequenzen und Alternativen kann ein freier und selbstbestimmter Willensentschluss gefasst werden. Das wird durch den gesetzlichen Prozess abgesichert:
- Aufklärung durch zwei Ärzt:innen: Davon kann eine:r zB der:die Hausärzt:in oder behandelnde:r Ärzt:in sein sowie ein:e weitere:r Ärzt:in, die eine palliative Qualifikation haben muss.
- Bestätigung der Krankheit und Entscheidungsfähigkeit: Ein:e Ärzt:in bestätigt das Vorliegen der Krankheit, beide bestätigen unabhängig voneinander die Entscheidungsfähigkeit der sterbewilligen Person.
- Sicherheitsnetz: Wenn ein:e Ärzt:in an der Entscheidungsfähigkeit zweifelt, wird die Entscheidungsfähigkeit durch Psychiater:innen oder Psycholog:innen nochmals beurteilt.
- Dauerhafter Entschluss: Um die Dauerhaftigkeit des Entschlusses sicher zu stellen, muss eine Frist von 12 Wochen eingehalten werden, bevor eine Sterbeverfügung errichtet werden kann. Dieser Zeitraum wird in der Suizidforschung als notwendig zur Überwindung von Krisenphasen gesehen.
- Kurze Frist bei terminaler Phase: Für Personen in der terminalen Phase, die also nur mehr eine sehr geringe Zeit (z.B. wenige Wochen) zu leben haben, gilt eine stark verkürzte Frist von zwei Wochen. Somit steht auch diesen die Möglichkeit zum assistierten Suizid offen.
- Errichtung der Sterbeverfügung: Nach Ablauf der Frist kann die Sterbeverfügung bei Notar:innen oder Patientenanwält:innen errichtet werden. Diese haben umfangreiche Erfahrung im Umgang mit höchstpersönlichen Angelegenheiten, sind an besonders strenge Verhaltensvorschriften gebunden und genießen ein hohes Vertrauen in der Bevölkerung. Die Sterbeverfügung wird in einem eigens geschaffenen Register eingetragen.
Wozu berechtigt eine Sterbeverfügung? Die Sterbeverfügung ermöglicht es sterbewilligen Personen, ein letales Präparat bei einer Apotheke abzuholen und dieses dann – in einem von ihr gewählten, privaten Rahmen – zu sich zu nehmen. Wenn die sterbewillige Person etwa bettlägerig ist, kann auch eine beauftragte Person das Präparat für sie abholen. Diese Person muss in der Sterbeverfügung genannt werden. Ebenso ist eine Zustellung durch die Apotheke möglich.
Warum brauchen Personen eine Sterbeverfügung? Für die sterbewillige Person dient sie der Absicherung des freien, selbstbestimmten und dauerhaften Sterbewillens und dem Schutz vor Missbrauch (siehe oben). Für die hilfeleistende Person schafft die Sterbeverfügung Rechtssicherheit.
Wie wird die Freiwilligkeit aller Beteiligten sichergestellt? Eine Gewissensklausel stellt sicher, dass niemand verpflichtet ist eine Hilfeleistung anzubieten oder durchzuführen oder sich an der Errichtung der Sterbeverfügung zu beteiligen. Umgekehrt darf niemand benachteiligt werden, der dies tut.
Sind Apotheker:innen verpflichtet, das Präparat abzugeben: Niemand ist verpflichtet, eine Hilfeleistung zu erbringen und niemand darf deshalb benachteiligt werden. Dies gilt auch für Apotheker:innen. Die Abgabe des Präparats ist daher immer freiwillig. Umgekehrt ist sichergestellt, dass auch niemand wegen der Abgabe des Präparats benachteiligt wird. Insgesamt gilt ein Diskriminierungs- und Benachteiligungsverbot. Alle Hilfsmaßnahmen sind freiwillig
Welche Verbote gelten in Zukunft? Es wird ein Werbeverbot und ein Verbot wirtschaftlicher Vorteile geschaffen. So darf weder mit einer Hilfeleistung geworben werden noch ein wirtschaftlicher Vorteil erlangt werden. In Zukunft bleibt die Hilfeleistung gem. § 78 StGB aus vier Gründen strafbar:
- bei Minderjährigen;
- aus verwerflichen Beweggründen (z.B. Habgier);
- bei Personen, die nicht an einer schweren Krankheit leiden;
- wenn keine ärztliche Aufklärung erfolgt ist (Schutz des freien und selbstbestimmten Willens).
Register, in dem die Sterbeverfügungen aufgezeichnet werden: Zur Dokumentation und Nachvollziehbarkeit hat das Gesundheitsressort ein elektronisches Sterbeverfügungsregister (StVReg) unter Zuhilfenahme von bereichsspezifischen Personenkennzeichen zu führen. Sämtliche angeführten Handlungsabläufe sind in diesem Register gespeichert. Die Zugriffe werden durchgängig protokolliert und mittels jährlich stattfindendem externen Audit überprüft. Das Register unterliegt den aktuell höchsten technischen Sicherheitsstandards. Sämtliche Daten sind verschlüsselt abgespeichert.
Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung
Begleitend wird die Hospiz- und Palliativversorgung von der Bundesregierung gemeinsam mit Ländern und Sozialversicherungsträgern ausgebaut und erweitert. Dies ist bereits im Regierungsprogramm vorgesehen, wobei Hospiz und Palliativpflege in die Regelfinanzierung übergeführt werden sollen. Ab 2022 stellt der Bund den Ländern jährlich einen Zweckzuschuss zur Hospiz- und Palliativversorgung zur Verfügung. Vorgesehen ist eine Drittelfinanzierung durch Bund, Länder und Träger der Sozialversicherung.
Der VfGH hat sich für solche staatlichen Begleitmaßnahmen ausgesprochen und festgehalten, dass es nicht an den persönlichen oder Einkommensverhältnissen liegen darf, welche Pflegebedingungen ein Mensch am Ende seines Lebens vorfindet. Ebenso gab es in dem vom Justizministerium abgehaltenen Dialogforum und auch in anderen Gremien einen breiten Konsens, dass eine gut ausgebaute Hospiz- und Palliativversorgung den Wunsch nach frühzeitiger Beendigung des Lebens reduziert.
Gesetzliche Grundlage: Die Hospiz- und Palliativversorgung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie Erwachsenen soll bedarfsgerecht und flächendeckend aus- und aufgebaut und bestehende Versorgungsangebote gesichert werden. Dabei sind bestimmte Qualitätskriterien einzuhalten. Mit diesem Gesetzesentwurf werden auch Empfehlungen der parlamentarischen Enquete-Kommission „Würde am Ende des Lebens“ umgesetzt. Zugleich wird nun ein Hospiz- und Palliativfonds eingerichtet.
Qualitätskontrolle: Mit den Ländern und der Sozialversicherung sollen bis Ende 2022 Qualitätskriterien für die Angebote erarbeitet werden. So sollen österreichweit gleiche Versorgungsstandards der modular abgestuften Hospiz- und Palliativversorgung erreicht werden. Die Einhaltung der Qualitätskriterien und die Qualitätskontrolle liegen bei den Ländern.