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Antisemitismus: Verschwörung und Schuldumkehr

Maßnahmen gegen Antisemitismus sind erforderlich und stärken die Demokratie: Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka Foto: Anna Rauchenberger

Maßnahmen gegen den Antisemitismus sind erforderlich, aber sie benötigen eine Datenbasis. Diese liefert die Antisemitismusstudie 2022 des Parlaments, die Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka am Dienstag mit den Expertinnen in Wien vorstellte.

 

Die Verschwörungsmythen leben

Die von IFES vorgenommene Studie zum Antisemitismus 2022 ergibt unter anderem:

Jene Verschwörungsmythen, die einen Bestand weltweiter jüdischer Netzwerke annehmen, erreichen die höchste Zustimmung:

  • 36 Prozent finden die Aussage „Die Juden beherrschen die internationale Geschäftswelt“ sehr/eher zutreffend
  • 30 Prozent finden die Aussage „In wachsendem Ausmaß zeigen sich heute wieder Macht und Einfluss der Juden in der internationalen Presse und Politik“ für sehr/eher zutreffend
  • Mit Bezug auf Österreich bzw. die Teuerungskrise liegt die Zustimmung niedriger: 19 Prozent meinen, „Juden haben in Österreich zu viel Einfluss“, ein Anteil von 18 Prozent sagt, „hinter aktuellen Preissteigerungen stehen oft jüdische Eliten in internationalen Konzernen“.

 

Umkehr der Schuld

Neben Verschwörungsmythen gibt es die Unterstellung einer Schuldumkehr. So meinen 36 Prozent, „die Juden versuchen heute Vorteile daraus zu ziehen, dass sie während der NS-Zeit Opfer gewesen sind“; 19 Prozent meinen, Juden seien „zumindest zum Teil“ selbst schuld an ihrer Verfolgung.

  • Die Zustimmungen zu rassistischem Antisemitismus („Von einem Juden kann man nicht erwarten, dass er anständig ist“) liegen niedriger und pendeln zwischen 10 und 21 Prozent.

 

Mehrheit ist unbefangen gegenüber Juden

Die gute Nachricht: Die unbefangene Grundeinstellung zu Juden und Jüdinnen – die Studie bezeichnet dies als Non-Antisemitismus – ist weiter verbreitet als der Antisemitismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen:

  • 65 Prozent bewerten die Aussage „Juden haben viel zum kulturellen Leben in Österreich beigetragen“ als sehr oder eher zutreffend,
  • 42 Prozent teilen die Aussage „Wegen der Verfolgung der Juden während des 2. Weltkriegs haben wir heute eine moralische Verpflichtung, den Juden in Österreich beizustehen“,
  • 46 Prozent stimmen der Aussage zu, „Juden werden ungerechtfertigt angefeindet, wenn es Krisen gibt“.
Projektkoordinator Thomas Stern (Braintrust); Foto: Anna Rauchenberger

Projektkoordinator Thomas Stern (Braintrust); Foto: Anna Rauchenberger

Bedenklicher Aspekt

Für diese Studie wurde die Gesamtstichprobe angehoben und um um Personen erweitert, die entweder in der Türkei oder in einem arabischsprachigen Land geboren wurden oder bei denen dies zumindest auf einen Elternteil zutrifft.

Dazu heißt es wörtlich: „Die Aufstockungsgruppe legt durchgehend eine sehr viel stärkere antisemitische Einstellung an den Tag als die österreichische Gesamtbevölkerung. Am deutlichsten wird dies beim israelbezogenen Antisemitismus, am geringsten ist der Unterschied beim Non-Antisemitismus.“

Antisemitismus werde im Internet verbreitet und gefährde auch die Demokratie, sagte Sobotka. Maßnahmen gegen den Antisemitismus seien als solche erforderlich, stärken zugleich die Demokratie. Als Beispiele dafür verwies Sobotka auf Gedenkveranstaltungen, den Simon-Wiesenthal-Preis für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus und auf Workshops in der Demokratiewerkstatt des Parlaments.

Deutsch und Edtstadler: Deklaration gegen Antisemitismus. Foto: Andy Wenzel

 

Dokumentation des Antisemitismus

Ebenfalls diese Woche wurde in Wien zum zweiten Mal die von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler initiierte European Conference on Antisemitism abgehalten.

Edtstadler und der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, hatten rund 50 Expertinnen und Experten eingeladen, um gemeinsam Maßnahmen gegen den steigenden Antisemitismus in Europa zu diskutieren und Initiativen zu erarbeiten, um jüdisches Leben in Europa zu fördern.

Eines der Themen ist das „underreporting“, denn weiterhin werden in einigen EU-Staaten keine oder nur sehr wenige antisemitische Vorfälle gemeldet. Die von der Konferenz 2022 verabschiedete Wiener Deklaration soll Modelle zur besseren Vergleichbarkeit von Daten zu antisemitischen Vorfällen in Europa entwickeln.

Österreich hat als einer ersten EU-Staaten eine Nationale Strategie gegen Antisemitismus verabschiedet. Edtstadler dazu: „Österreich ist ein Vorreiter im Kampf gegen Antisemitismus in Europa.“