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Die Formen des Extremismus in Österreich

Von "passiv" bis "gewaltsam" reichen die Extremismusformen von Zuwanderern in Österreich. Das ergibt eine neue Studie, die diese Woche veröffentlicht wurde. Foto: istock/Stadtratte

Eine umfassende Analyse gibt einen Einblick in die Formen des Extremismus bei Zuwanderern aus der Türkei, dem Westbalkan, dem Nordkaukasus und dem arabischen Raum in Österreich.

Die neue Studie trägt den Titel „Lagebild Extremismus und Migration: Fallstudien aus vier österreichischen Migrations-Communitys“. Erstellt wurde diese Studie im Auftrag des Bundeskanzleramts und des Innenministeriums. Unter der Leitung von Peter Neumann wurden Extremismusformen bei Zuwanderern aus der Türkei, dem Westbalkan, dem Nordkaukasus und von arabischstämmigen Zuwanderern untersucht.

 

Verschiedene Formen von Extremismus und Radikalisierung

Für die Studie wurden unter der Berücksichtigung der Einstellung zu Gewalt oder dem Verhältnis gegenüber Staat und Gesellschaft drei Typologien von Extremismus entwickelt: „Gewaltsamer Extremismus“, „Aktiv(istisch)er Extremismus“ und „Passiver Extremismus“, der in Abgrenzung zur Mehrheitsgesellschaft den Auf- bzw. Ausbau von segregierten Strukturen als Gegenmodell anstrebt.

Um das Radikalisierungspotential innerhalb bestimmter Communitys einschätzen zu können, wurden zusätzlich Faktoren definiert, die das Radikalisierungspotential erhöhen, unter anderem Faktoren wie „Einstellungen und Prägungen“, „Hinweise auf Ausgrenzungs- und Ablehnungserfahrungen“, „Identitätskonflikte“, „Zugang zu extremistischen Ideen und Akteuren“ und die „Bedeutung von ausländische Kriege und Konflikten für die Communitys.“ Die vier Communitys wurden dann anhand der Typologien und der Faktoren mittels Expertengesprächen und Recherchen in der Community untersucht.

 

Alle untersuchten Communitys mit Anzeichen von Extremismus

Die Experten fanden in allen Communitys Anzeichen für Extremismus. Die Erscheinungsformen sowie die Radikalisierungs- und Gewaltpotenziale variieren jedoch stark. Während Zuwanderer aus der Türkei ein moderates Radikalisierungspotenzial aufweisen, wurden in der Bevölkerung mit arabischen Wurzeln aktivistische und in geringerem Maße gewaltsame und passive Formen des Extremismus erforscht.

Der Nordkaukasus-Community (Tschetschenien) wird in der Studie ein vergleichsweise hohes Radikalisierungspotenzial attestiert, während Zuwanderer mit bosnischen und albanischen Wurzeln (Westbalkan-Community) hingegen über eine hohe Resilienz gegenüber Extremismus verfügen. Für die Studie wurde ein theoretisches Modell entwickelt, das zusätzlich zur Unterscheidung zwischen gewaltbereitem auch den passiven Extremismus berücksichtigt.

 

Die Studienergebnisse im Detail

Bei Zuwanderern aus der Türkei sind zwar keine dschihadistischen Strömungen erkennbar, es besteht jedoch ein weites Feld extremistischer Orientierungen sowie islamistischer und (ultra-)nationalistischer Akteure. Diese haben das Potenzial, negativ in die Gesamtgesellschaft hineinzuwirken. Diese Extremismusform richten sich zunächst weniger gegen die österreichische Gesellschaft oder gegen den Staat und seine Institutionen, sondern vielmehr nach „innen“ – gegen kurdische, armenische und alevitische Bevölkerungsgruppen sowie politische Konkurrenten.

In der Bevölkerung mit arabischen Wurzeln wurden aktivistische und in geringerem Maße gewaltsame und passive Formen des Extremismus ausgemacht. In dieser Gruppe findet sich eine relativ große Zahl junger und sozioökonomisch schlecht integrierter Männer. Durch die Präsenz islamistischer Akteure, problematischer Einstellungen sowie dem nach wie vor starken Einfluss ausländischer Konflikte ist das Radikalisierungspotenzial in dieser Gruppe erheblich.

Das hohe Radikalisierungspotenzial innerhalb der Nordkaukasus-Community (Tschetschenien) wird mit Abschottungstendenzen und einer (in Teilen gewaltaffinen) Ehrkultur begründet. Positiv eingeschätzt werden existierende Bestrebungen und Initiativen innerhalb der Community. Diese sind teils eine Reaktion auf die hohe Anzahl an tschetschenisch-stämmigen Auslandskämpfern in Syrien. Für sie bestehen Bildungsangebote und Sozialprojekte, die im Verbund mit Gemeinden und staatlichen Stakeholdern umgesetzt werden.

Die Bevölkerung mit bosnischen und albanischen Wurzeln (Westbalkan-Community) verfügt in Österreich über eine bislang hohe Resilienz gegenüber Extremismus. Seit den Zerfallskriegen in Jugoslawien konnten sich auf dem Balkan jedoch islamistische Akteure etablieren, deren Wirken nach Österreich ausstrahlt.

 

Experte: „Kampf gegen Extremismus eine Daueraufgabe“

Studienleiter Peter Neumann mahnte zu kontinuierlicher Auseinandersetzung mit dem Thema Extremismus: „Die Studie zeigt, dass der Kampf gegen Extremismus eine Daueraufgabe ist und nicht ‚geschafft‘ ist, bloß weil mal ein paar Monate kein Terroranschlag passiert.“

Zu den verschiedenen Erscheinungsformen des Extremismus in der Gesellschaft stellte Neumann weiters fest: „Natürlich ist Extremismus nicht ausschließlich ein Problem von Migrations-Communitys. Aber es ist innerhalb von Migrations-Communitys anders gelagert, nicht zuletzt, weil entscheidende Einflüsse aus dem Ausland kommen. Dies hat unsere Studie klar dokumentiert.“

Eine Schlussfolgerung aus dem Lagebild strich Neumann besonders hervor: „Wenn überhaupt, dann ist diese Studie ein Aufruf, sich noch mehr und intensiver mit den Migrations-Communitys im eigenen Land auseinanderzusetzen. Das ist keine Stigmatisierung, sondern im Gegenteil: Es hilft dabei, ein differenziertes Bild zu bekommen und Vorurteile abzubauen.“

 

Ministerin für Maßnahmen im Integrations-, Sicherheits- und Justizbereich

Für Integrationsministerin Susanne Raab ist jede Form von Extremismus auf das Schärfste zu verurteilen. Es brauche Anstrengungen auf mehreren Ebenen, um vehement dagegen anzukämpfen.

Wissenschaftliche Arbeiten wie die neue Studie unter der Leitung von Peter Neumann würden laut Raab eine wichtige Grundlage darstellen, „damit wir wissen, warum und in welchen Erscheinungsformen es zu Extremismus gerade in einzelnen Migrantengruppen kommt.“

Dann seien Schlussfolgerungen zu ziehen, meint Raab: „Damit es in den Communitys nicht zu Radikalisierungen kommt, braucht es Maßnahmen im Integrations-, Sicherheits- und Justizbereich, sowohl in der Prävention als auch in der Aufklärung und eine enge Abstimmung zwischen Behörden im konkreten Verdachtsfall. Genauso ist eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen europäischen Ländern nötig, weil Extremismus nicht vor Grenzen Halt macht“, so die Integrationsministerin.