Innenpolitik

Herdenschutz auf Almen: Mehr Wunschtraum als Wirklichkeit

Produktion der Lebensmittel, Pflege der Kulturlandschaft: Dafür erhalten Bauern Prämien. Foto: iStock/smerin

Die Wolfspopulation in Europa wächst jährlich um 30 %. Mit 20.000 Tieren hat diese eine Größe erreicht, bei der Experten bereits von einem gesicherten Erhaltungszustand sprechen. Damit nicht genug, schon seit 2018 wird der Wolf in Europa daher von der Weltnaturschutzorganisation IUCN als nicht gefährdet eingestuft. Allein in Tirol wurden bis Ende August 2021 mehr als 300 Schafe von Wölfen gerissen und ca. 2.500 Schafe zum Schutz vor Wölfen vorzeitig abgetrieben. Ein Jahr zuvor waren es „nur“ 163 bestätigte Risse und damit nicht einmal halb so viele. Der Konflikt auf heimischen Almen spitzt sich zu. Ist Herdenschutz eine wirksame Lösung? Hier die wichtigsten Antworten:

 

Herdenschutzhunde: Theoretisch möglich, praktisch viele Hürden.

Herdenschutz mit Hunden und Zäunen stößt insbesondere im alpinen Berggebiet an Grenzen. Am Beispiel Herdenschutzhunde in Tirol sehe das folgendermaßen aus: Ein durchschnittlicher Betrieb mit Schafhaltung besitzt 35 Tiere. Für eine Schafherde – egal wie groß diese ist – müssen immer zwei Hunde bereit stehen. Anschaffungskosten von Herdenschutzhunden liegen bei rund 7.000 € je Hund. Die jährlichen Kosten pro Hund, die sich laut Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (KTBL) auf 1.400 € belaufen, sind für einen einzelnen Schafhalter enorm.  Zudem ist die Haltung von Hunden nicht jeder Person zumutbar. Herdenschutzhunde müssen mit der Schafherde aufwachsen und die Schafe kennen. Allein die Integration in die Herde dauert mindestens ein Jahr. Werden die Schafe nicht ganzjährig mit dem Herdenschutzhund gehalten, akzeptiert dieser die Schafe nicht oder greift sie sogar an. Und auch wenn der Herdenschutzhund seine Aufgabe, den Schutz der Schafe, einwandfrei erfüllt, stellt er für andere Tiere – und auch Wanderer – eine Bedrohung dar. Auch bodenbrütende Vögel, darunter geschützte Arten wie Steinhuhn, Schneehuhn und Auerhuhn fallen den Hunden zum Opfer.

 

Bauernbund-Präsident Abg. Georg Strasser im Gespräch zur Wolfs-Problematik. - Foto: Kerschbaumer

Bauernbund-Präsident Abg. Georg Strasser im Gespräch zur Wolfs-Problematik. – Foto: Kerschbaumer

Zäune zerschneiden Lebensräume

Schafsalmen in höheren alpinen Lagen sind oft von Felsen durchsetzt. Steiles und unwegsames alpines Gelände macht für Bauern eine Errichtung von sicheren Zäunen fast unmöglich. „Ein wirklich wolfssicherer Zaun, der weder ein Überspringen noch ein Untergraben des Wolfes erlaubt, ist Wunschtraum. Wenn in Panik geratene Tiere flüchten, werden Barrieren wie beispielsweise Zäune einfach niedergerissen. Selbiges gilt auch für Wildtiere. Hier kommt hinzu, dass Zäune für Wildtiere wie Steinböcke und Gämsen Barrieren sind und deren Lebensraum zerschneiden“, so Bauernbund-Präsident Georg Strasser. All diese Faktoren führen dazu, dass der Aufwand für die Wartung und Kontrolle durch Bauern und Hirten hoch ist. Regelmäßige Kontrollgänge und aufwändige Reparaturen aufgrund von Lawinenabgängen in Frühjahr erfordern ordentlich Personalressourcen.

 

Hirten gesucht!

Trotz Zäunen und Hunden geht es letzten Endes nicht ohne menschliche „Aufpasser“, nämlich die Hirten. Ihre Aufgabe ist die dauernde Begleitung von Schafen im alpinen Gelände. Das ist anspruchsvoll und kräftezehrend. Neben Unterkunft und Personalkosten sind arbeitsrechtliche Fragen zu klären, da eine permanente Anwesenheit bei der Herde erforderlich ist. Gesamtlohnkosten für ausgebildete Arbeitskräfte belaufen sich auf rund 165 € pro Tag. Das muss sich ein bäuerlicher Familienbetrieb erst einmal leisten können.

 

"Ein wirklich wolfssicherer Zaun, der weder ein Überspringen noch ein Untergraben des Wolfes erlaubt, ist Wunschtraum", so Georg Strasser - Foto: Kerschbaumer

„Ein wirklich wolfssicherer Zaun, der weder ein Überspringen noch ein Untergraben des Wolfes erlaubt, ist Wunschtraum“, so Georg Strasser – Foto: Kerschbaumer

 

Wolf wird Problem für Tourismus

87% der Sommertouristen Tirols kommen zum Wandern. Sie wollen weitläufige, idyllische Almlandschaften genießen. Das können sie nur, wenn weiterhin Tiere auf Almen aufgetrieben werden. Nehmen Wölfe auf heimischen Almen die Überhand, werden Zäune die weitläufige Berglandschaft nicht nur optisch, sondern auch organisatorisch durchschneiden. Zäune werden Wanderwege kreuzen und Überquerungen für Wanderer oder Mountainbiker erschweren. Ein wirklich ernsthaftes Problem für touristisch genutzte Regionen könnten jedoch die Herdenschutzhunde werden. Denn, der Hirtenhund unterscheidet nicht: Feind ist Feind.

Kommt ein Wanderer der Herde zu nahe, wird der Herdenschutzhund auch ihn möglicherweise als Feind betrachten und angreifen. Bestes Beispiel ist die Schweiz. Sie wird oft als Herdenschutz-Musterland angepriesen. Doch wurden dort allein im Jahr 2020 bereits 26 Menschen von Herdenschutzhunden gebissen. Obwohl die Anwesenheit der Hunde an Wanderwegen beschildert ist und die Almen dort weniger frequentiert sind, häufen sich diese Vorfälle. Heimische Tourismusvertreter haben deshalb zum Thema Wolf einen klaren Standpunkt.  „Wenn es keine Almen mehr gibt, verwildern die Flächen, die über Jahrhunderte gepflegt und bearbeitet wurden und auch die Wanderwege werden zuwachsen. Für Einheimische und Gäste ein no go“, so Tourismusvertreter.

Auch der Bauernbund verfolgt eine klare Linie. „Es ist wissenschaftlich belegt, dass ein wirksamer Herdenschutz in vielen Gebieten und Regionen Österreichs aus ökonomischen oder topographischen Gründen nicht möglich ist. Deshalb fordern wir für besonders sensible und vulnerable Gebiete die Einrichtung von Weideschutzgebieten für unsere Weidetiere, um bei wiederkehrenden Angriffen von Großraubtieren rasch und effektiv eingreifen zu können.“