Nachgefragt

Nachgefragt: Im Gespräch mit Alexander Schallenberg

Der Diplomat an der Spitze des Außenministeriums. Alexander Schallenberg studierte Jus in Wien und Paris. Später trat er in den diplomatischen Dienst ein. Zur-Sache traf ihn um über den Krieg in der Ukraine, seine Zeit im Ausland und darüber, wie krisensicher Europa bleibt, zu sprechen. Foto: BMEIA

Der Diplomat an der Spitze des Außenministeriums. Alexander Schallenberg studierte Jus in Wien und Paris. Später trat er in den diplomatischen Dienst ein. Zur-Sache traf ihn um über den Krieg in der Ukraine, seine Zeit im Ausland und darüber, wie krisensicher Europa bleibt, zu sprechen. 

 

Zur-Sache: In der Ukraine herrscht seit Februar Krieg. Österreich hat die Bevölkerung der Ukraine mit Sach- und Geldleistungen vor Ort unterstützt. Sehen Sie dadurch die Neutralität gefährdet?

Alexander Schallenberg: Nein, keinesfalls! Wir sind militärisch neutral, aber wir sind niemals politisch neutral, Wenn es um die Achtung des Völkerrechts und um die schiere Gewalt und Brutalität des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine geht, können und wollen wir nicht neutral sein. Wir werden nicht schweigen, wenn die Souveränität, territoriale Integrität und Unabhängigkeit eines Staates angegriffen wird. Nichts Anderes ist seit 10 Monaten in der Ukraine der Fall. Dagegen werden wir immer und auf allen Ebenen ganz entschieden eintreten, ohne dabei unsere Neutralität zu gefährden.

 

Wie hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine die geopolitische Lage der EU verändert? Welche Folgen ergeben sich daraus?


Der Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar hat die Illusion vieler zerstört, dass die Sicherheitsarchitektur, die wir nach dem Ende des zweiten Weltkriegs geschaffen und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs verstärkt hatten, für immer Stabilität und Wohlstand garantieren würde, dass das europäische Friedensprojekt Kriege auf unserem Kontinent verhindern würde.

Der Angriff Russlands war wie ein geopolitischer Eiskübel, der uns ins Gesicht geschleudert wurde und uns brutal aus diesen Tagträumen gerissen hat. Aber anstatt in Schockstarre zu verfallen, sind wir in der EU näher zusammengerückt und haben ganz klar Kante gegenüber Russland gezeigt – nur so konnten wir neun massive Sanktionspakete gegen Russland verabschieden. Eine derartig starke Einigkeit habe ich in all meinen Jahren als Politiker noch nicht erlebt. Diese europäische Einheit gilt es nun zu bewahren.

Denn die Sanktionen gegen Russland wirken, jeden Tag ein Stück mehr. Die russische Wirtschaft liegt am Boden, die Kriegsindustrie ist empfindlich geschwächt. Dass nun Rüstungsgüter aus dem Iran und sogar aus Nordkorea nach Russland geliefert werden, sollte wirklich zu denken geben.

All diese Entwicklungen zeigen, dass der russische Angriffskrieg unsere Beziehungen, Österreichs und der EU, zu Russland nachhaltig verändert hat. Eine Rückkehr zum status quo ante, also zur Situation vor dem 24. Februar, kann und wird es nicht geben. Gleichzeitig muss uns auch klar sein, dass Russland nicht von der Landkarte verschwinden wird und wir Kontakte zu Russland nicht völlig abbrechen dürfen. Ich halte deshalb auch nichts von einem „Canceln“ russischer Kultur und Geschichte.

 

Als Außenminister ist man nur selten im Heimatland unterwegs. Wie oft waren Sie dieses Jahr im Ausland?


Auf die Schnelle gefragt, schätze ich mehr als 50 Mal. Neben den routinemäßigen monatlichen Treffen der EU-Außenminister in Brüssel und Luxemburg, der UNO-Generalversammlung im September in New York und dem OSZE-Ministerrat im Dezember im polnischen Łódź, war ich unter anderem in Israel und im Nahen Osten – im Libanon, in Jordanien und in den palästinensischen Gebieten – in Moldau, Armenien, Ägypten, der Türkei, Indien, Pakistan, Südkorea und natürlich bei all unseren unmittelbaren Nachbarn.

Besonders bewegt haben mich aber meine zwei Besuche in der Ukraine – einmal Anfang Februar kurz vor Beginn der russischen Invasion, einmal im Juli, bei dem ich mich selbst von der unglaublichen Willensstärke und dem Kampfgeist der ukrainischen Bevölkerung überzeugen konnte. Bei diesen Besuchen wird einem die ganze menschliche Tragweite des Krieges bewusst. Genauso aber die Wichtigkeit, jeden Tag aufs Neue für die Werte eines Lebens in Freiheit und Demokratie einzustehen.

 

Mehrfache Krisen prägten das Jahr 2022. Mit welchen internationalen / globalen Herausforderungen ist zu rechnen? Wie antwortet Österreich darauf? Bleibt Europa krisenfest?


2023 wird sicherlich ein entscheidendes Jahr für Europa und Österreich. Man könnte sagen: „it’s crunchtime.“ Es ist kein Ende des russischen Angriffskriegs absehbar und auch dessen globale Auswirkungen – hohe Energiepreise für Haushalte und Industrie, steigende Lebenskosten – werden uns noch länger beschäftigen. Zugleich ist der Migrationsdruck auf Europa enorm gestiegen und wird das auch weiterhin tun. Das zeigt ja alleine die demographische Entwicklung, zum Beispiel am afrikanischen Kontinent. Diese Probleme werden wir weiterhin klar benennen. Um sie zu lösen braucht es strategische Ausdauer und Widerstandskraft. Und klar muss auch dem Letzten werden: Wunschdenken ist keine Basis für Politik. Nur so können wir ein demokratisches, unabhängiges, freies und lebenswertes Österreich in einem erfolgreichen und einigen Europa bewahren.

 

Ihr Jahr in 3 Worten / Sätzen.

Unfreiwillige geopolitische Achterbahnfahrt.

Der Diplomat an der Spitze des Außenministeriums. Alexander Schallenberg studierte Jus in Wien und Paris. Später trat er in den diplomatischen Dienst ein. Zur-Sache traf ihn um über den Krieg in der Ukraine, seine Zeit im Ausland und darüber, wie krisensicher Europa bleibt, zu sprechen. Foto: BMEIA
Der Diplomat an der Spitze des Außenministeriums. Alexander Schallenberg studierte Jus in Wien und Paris. Später trat er in den diplomatischen Dienst ein. Zur-Sache traf ihn um über den Krieg in der Ukraine, seine Zeit im Ausland und darüber, wie krisensicher Europa bleibt, zu sprechen. Foto: BMEIA