Nachgefragt

Nachgefragt: Im Gespräch mit Karoline Edtstadler

Karoline Edtstadler: Autonomie Energieversorgung für Europa. Foto: A.Wenzel

Als „resolut und streng im Gerichtssaal“ sowie „freundlich und kommunikativ im persönlichen Gespräch“ wurde Verfassungs- und Europaministerin Karoline Edtstadler einmal beschrieben. Die studierte Juristin und Richterin ist mittlerweile seit fast 20 Jahren politisch tätig. Mit Zur-Sache spricht sie über Antisemitismus, die EU und den Rechtsschutz, sowie ihren Auftritt in den verschiedenen Sozialen Netzwerken.  

Zur-Sache: Antisemitismus zu bekämpfen bleibt ein Thema. Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Maßnahmen im Kampf gegen Antisemitismus?

Karoline Edtstadler: Ich bin überzeugt, dass die wichtigste Antwort auf Antisemitismus das jüdische Leben selbst ist.Ein wesentlicher Meileisten im Jahr 2021 war, dass der Beschluss des Österreichisch-Jüdische Kulturerbegesetzes. Damit haben wir die Förderungen des jüdischen Lebens in Österreich per Gesetz auf vier Millionen Euro jährlich verdreifacht. Darüber hinaus haben wir heuer wichtige Maßnahmen der Nationalen Strategie gegen Antisemitismus umgesetzt. Wir haben etwa die Novellierung des Verbotsgesetzes auf den Weg gebracht und das erste Nationale Forum im Kampf gegen Antisemitismus ins Leben gerufen.

Die europäische Konferenz im Kampf gegen Antisemitismus wurde aus der Taufe gehoben, die zukünftig einmal pro Jahr in Wien stattfinden wird. Dadurch soll die europäische Zusammenarbeit bei diesem Thema gefördert und noch weiter vertiefet werden. Ich freue mich auch über eine eigene neue Konzertreihe im Bundeskanzleramt „Klangwelten Kanzleramt“, die jüdisch-österreichische Kultur vor den Vorhang holt. Außerdem ist es ein erfreulicher und wichtiger Schritt, dass die Zusammenarbeit mit Yad Vashem unter Bundeskanzler Nehammer stark ausgebaut wurde. Gerade in den Bereichen der Sensibilisierung und der „Holocuast education“ kann man vor allem junge Menschen frühzeitig abholen. Hier leistet Yad Vashem einen entscheidenden Beitrag.

 

Welche Perspektiven sehen Sie für Europa und für die Europäische Union? Wer gewinnt den Wettlauf um den Westbalkan? Europa oder doch China?

Ob es den Krieg auf europäischem Boden, die Sorge um unsere Energieversorgung oder die Belastungen durch die Teuerung  betrifft: In allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sucht man aktuell nach Lösungen für Herausforderungen, die es seit Generationen nicht mehr zu bewältigen galt. Wir erleben eine Zeitenwende und müssen Europa und auch Österreich dafür stärken.

Am Westbalkan ist viel vorangegangen in diesem Jahr: Die Beitrittsverhandlungen für Albanien und Nord-Mazedonien wurden endlich eröffnet, darüber hinaus wurde Bosnien und Herzegowina der Kandidatenstatus verliehen und Kosovo hat den Beitrittsantrag gestellt. Jetzt gilt es die europäische Annäherung des Westbalkans auch weiterhin voranzutreiben. Denn die Frage der Erweiterung auf dem Westbalkan ist eine Frage der Sicherheit für Europa und eine Frage der Glaubwürdigkeit der Europäischen Union.

 

"Es kann nicht sein, dass ein Smartphone, auf dem das ganze Leben abgebildet ist, ebenso sichergestellt wird wie eine Tatwaffe, die zum Beispiel ein Messer sein kann. Bei der Sicherstellung von Smartphones braucht es einen höheren Rechtsschutz in Form einer richterlichen Genehmigung und klare Kriterien." Foto: BKA / Wenzel

„Es kann nicht sein, dass ein Smartphone, auf dem das ganze Leben abgebildet ist, ebenso sichergestellt wird wie eine Tatwaffe, die zum Beispiel ein Messer sein kann. Bei der Sicherstellung von Smartphones braucht es einen höheren Rechtsschutz in Form einer richterlichen Genehmigung und klare Kriterien.“ Foto: BKA / Wenzel

 

Sie pflegen in sozialen Netzwerken den direkten Kontakt mit den Bürgern. Was nehmen Sie daraus mit?

Die Politik erlebt derzeit einen großen Vertrauensverlust. Auch, weil in den klassischen Medien oft die Zuspitzung der Sachlichkeit vorgezogen wird. Ich versuche daher, umso mehr mit den Menschen ins direkte Gespräch zu kommen. Facebook, Instagram, LinkedIn und TikTok sind Kanäle, über die man auch als Politikerin einmal eine andere, persönlichere Seite zeigen und direkt mit den Menschen kommunizieren kann. Auf unsere Stories und Beiträge auf Instagram oder Facebook reagieren täglich viele Bürgerinnen und Bürger, für deren Fragen und Anregungen ich sehr dankbar bin. Daraus sind auch in diesem Jahr wichtige Initiativen entstanden, wie eine Impfaktion unter dem Motto Stichtag im Bundeskanzleramt.

 

Vor der Politik waren Sie in der Justiz tätig. Sie haben Erfahrungen und Expertise für beide Bereiche. Gibt es Ihrer Ansicht nach Reformbedarf in der Rechtspflege? In der Struktur und Arbeitsweise der Justiz? Für den Rechtsschutz? 

Die Justiz steht in der heutigen Zeit vor vielen und großen Herausforderungen.  Wir sind eines der letzten Länder in Europa, in dem die Justizministerin eine Weisung in Einzelstrafsachen geben kann. Hier braucht es eine ausgewogene Reform, in der nicht auf die parlamentarische Kontrolle – also die Rückkoppelung zum Souverän, dem Volk – vergessen werden darf. Darüber hinaus müssen wir die Beschuldigtenrechte reformieren. Es kann nicht sein, dass ein Smartphone, auf dem das ganze Leben abgebildet ist, ebenso sichergestellt wird wie eine Tatwaffe, die zum Beispiel ein Messer sein kann. Bei der Sicherstellung von Smartphones braucht es einen höheren Rechtsschutz in Form einer richterlichen Genehmigung und klare Kriterien.  Zudem braucht es auch eine Beschleunigung von Verfahren und gleichzeitig einen zeitgemäßen Kostenersatz. Der Rechtsstaat des 21. Jahrhunderts beruht auf parlamentarischer Kontrolle und auf raschen und fairen Verfahren.

 

Ihr Jahr in 3 Worten 

Zeitenwende, Einigkeit, Europa