Europa- & Aussenpolitik
„Wir waren vom Frieden verwöhnt“
Es ist Tag sieben des brutalen russischen Angriffs auf die Ukraine. Von Frieden nichts zu sehen. Täglich kommen Meldungen aus dem Kriegsgebiet über zerstörte Infrastruktureinrichtungen, bombardierte Wohnhäuser, Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser und zivile Opfer. „Es sind sieben Tage Krieg in Europa. Der Krieg eines einzigen Mannes“, betont Außenminister Alexander Schallenberg im Pressefoyer nach dem Ministerrat. In einem leidenschaftlichen Plädoyer verteidigte Schallenberg das europäische Lebensmodell, ging aber auch mit den „festen Gewissheiten Europas“ hart ins Gericht. Österreich stockte die Mittel für humanitäre Hilfen aus dem Auslandskatastrophenfond um weitere 15 Mio. Euro auf.
Weitere Maßnahmen in der Schublade
Seit einer Woche kämpfen die Ukrainer einen wahrlich heroischen Kampf. Putin hat laut Schallenberg die Willenskraft der Ukrainer massiv unterschätzt. Und noch weniger hat Putin mit der entschlossenen und geschlossenen Reaktion des Westens gerechnet. „Allen Unkenrufen zum Trotz hat die EU in fünf Tagen drei Sanktionspakete verabschiedet. Sanktionen, die Biss haben“, spricht Schallenberg, nicht nur die scharfe Wirtschafts-Sanktionen gegen Russland an, sondern sieht auch einen Paradigmenwechsel in dem zum ersten Mal in der Geschichte der EU, Waffen und Schutzausrüstung für 500 Mio. Euro an die Ukraine geliefert werden. „Und wir haben noch weitere Maßnahmen in der Schublade. Bereits übermorgen, Freitag, könnte eine weitere Sondersitzung der EU-Außenminister stattfinden“.
„Dieser Urlaub ist vorbei“
Für Schallenberg habe die EU innerhalb einer Woche mehr Schritte in Richtung einer geopolitischen EU gesetzt, als in den vergangenen Jahren. Hier stelle besonders der hohe EU-Außenbeauftragte Josep Borrell im Hintergrund unermüdlich eine einheitliche EU-Front sicher.
Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine haben sich laut Schallenberg „eingeübte Regeln und feste Gewissheiten“ in Europa aufgelöst. „Wir Europäer waren vom Frieden verwöhnt. Europa hatte 30 Jahre Urlaub von der Geschichte. Dieser Urlaub ist vorbei.“
Wohlfeiler Moralismus wird keine Panzer stoppen
Europa sei in harten, realpolitischen Zeiten aufgewacht. Die Verunsicherung sei groß. Das merke Schallenberg an den vielen Nachrichten, die er täglich erhalte. „Viele Menschen in Österreich und in Europa stehen unter Schock. Sie starren fast ungläubig auf die Bilder, die uns aus unserer Nachbarschaft erreichen. Wir werden brutal daran erinnert, dass Wunschträume, Utopie und wohlfeiler Moralismus keine Panzer stoppen.“
Umso mehr müsse man nun als „frei Welt“ auch bereit sein für unser Lebensmodell zu kämpfen. „Notfalls auch mit robusten Mitteln“, fügt Schallenberg hinzu. Dies tue die EU in erster Linie mit wirtschaftlichen Mitteln. Zum ersten Mal lege die EU das wirtschaftspolitische Gewicht in die Waage. „Wenn man sich den Kursverfall des russischen Rubels, die Aussetzung des Börsenhandels und den massiven Werteverlust russischer Unternehmen anschaut, scheint dies zu wirken“, beton der Außenminister. Dies mache die EU nicht aus Vergnügen. Ganz im Gegenteil: Man werde von der russischen Führung geradezu dazu gezwungen. „Der Angriff auf die Ukraine ist nämlich auch ein Angriff auf uns. Auf unser Lebensmodell, auf unsere Werte, auf unsere freie Welt. Und die Schockwellen des Überfalls auf die Ukraine sind überall zu spüren. In Moldau, am Westbalkan oder im Südkaukasus.“
15 Millionen aus Auslandskatastrophenfonds
Der russische Angriffskrieg hat auch ganz gravierende humanitäre Auswirkungen. Millionen Ukrainer leben in Angst um ihr Leben, versuchen, sich vor den Kämpfen in Sicherheit zu bringen. Über 500.000 Menschen sind bereits geflüchtet – in die Nachbarstaaten Polen, Slowakei, Ungarn, Rumänien und Moldawien. Letzte Woche hat die Bundesregierung bereits 2,5 Mio. Euro an humanitärer Soforthilfe für die Ukraine bereitgestellt. „Heute haben wir ein noch viel größeres Paket verabschiedet: Humanitäre Hilfe für die Ukraine in der Höhe von 15 Mio. Euro“, kündigte Schallenberg an. Damit hilft Österreich bei der Grundversorgung der Opfer dieses Krieges mit Nahrung, Wasser, Unterbringung, medizinischer Hilfe und psychosozialer Betreuung. „Dieser sinnlose Krieg wird viele Tote hinterlassen und Familien auseinanderreißen. Das Trauma von Krieg und Vertreibung trifft Kinder besonders hart und wird sie vielleicht lebenslang zeichnen. Hier ist Österreichs uneingeschränkte Solidarität gefordert – und die werden wir auch in Taten zeigen.“
Auch den Nachbarregionen helfen
Obwohl nun alle Augen zurecht auf die Ukraine gerichtet sind, werden wir auch diese Partner nicht im Stich lassen“, richtet Schallenberg bereits jetzt den Blick in benachbarte Regionen der Ukraine. Man werde nicht zuschauen, wenn Russland seine Eskalationspolitik auch woanders zur Anwendung bringen will. „Wir beobachten die Entwicklung in diesen Regionen ganz genau und überlegen uns in der EU, wie wir diesen Staaten – allen voran Moldau, das dem Krisenherd am nächsten ist – konkret stabilisierend helfen können.