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Verfassungsschutz erwartet verschärfte Polarisierung und Spionage
Der Verfassungsschutzbericht 2023 wurde vorige Woche präsentiert und ist seit kurzem online. Der Bericht erwartet für das Wahljahr 2024 eine Zunahme an Unmutsäußerungen und Drohungen – und das lässt die jüngsten Appelle zur Mäßigung in der politischen Debatte als begründet und notwendig erscheinen. Und ebenso berechtigt erscheinen verstärkte Sicherheitsmaßnahmen sowie die Forderung nach mehr Möglichkeiten für den Staatsschutz.
Wahljahr bringt Polarisierung zwischen Links und Rechts
Das „allgemeine Drohgeschehen“ in Österreich hat sich 2023 etwas verringert, heißt es im Verfassungsschutzbericht 2023, was auch mit einer Verlagerung politischer Themen vom In- in das Ausland zu tun hat. Doch das könnte sich ändern, heißt es doch im Kapitel „Schutz der Obersten Organe und verfassungsmäßigen Einrichtungen“ unter „Entwicklungstendenzen“ wörtlich:
„Für das Wahljahr 2024 wird ein verschärfter politischer Diskurs beziehungsweise eine Polarisierung zwischen linken und rechten Gruppierungen erwartet. Neben den EU-Wahlen und Landtagswahlen wird dies insbesondere im Vorfeld der Nationalratswahl zutreffen. Die zu erwartenden thematisch unterschiedlichen Zielsetzungen der Parteien im Wahlkampf und die verstärkte mediale Präsenz Oberster Organe werden höchstwahrscheinlich zu einem Anstieg von Unmutsäußerungen bis hin zu Drohungen gegen diesen Personenkreis führen.“
Wahlkampftöne spielen entscheidende Rolle
Ob die internationalen Krisen und Kriege sowie die damit angefeuerten Debatten über Migration, Neutralität und Sicherheit Österreichs Protesthandlungen zu schüren vermögen, wird vom Wahlkampf der Parteien abhängig sein, heißt es dazu weiter.
Im folgenden beschreibt der Verfassungsschutzbericht – einige – der Maßnahmen für den Schutz der Obersten Organe und der kritischen Infrastruktur sowie die Maßnahmen zur Vorbeugung gegen Gewalt und gegen Internet-Kriminalität.
Verfassungsschutz: Konflikte nähren Bedrohungen
Den Bericht hatten Innenminister Gerhard Karner und DSN-Direktor Omar Haijawi-Pirchner sowie die stv. Direktorin Sylvia Mayer bereits vorige Woche vor Medien erläutert. Zentrale Aussage: Konflikte nähren Bedrohungen auch in Österreich
Es sind die aktuellen geopolitische Verwerfungen, die die Radikalisierung und Polarisierung stärken. Gemeint sind der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und der Terrorangriff der Hamas auf Israel mit der folgenden Eskalation. Dies hat konkrete Auswirkungen auf die Bedrohungslagen in Österreich. Der Verfassungsschutz legte daher 2023 den Fokus auf extremistische Aktivitäten sowie auf die Spionageabwehr, heißt es in einer ersten Medien-Info zum Verfassungsschutzbericht 2023.
„Wir stehen fünf zentralen Herausforderungen gegenüber“, erklärte Innenminister Karner. Er nannte
- den islamistischen Extremismus,
- den neuen und den alten Antisemitismus,
- den neuen und den alten Rechtsextremismus,
- die Spionage und Desinformation,
- gewaltbereite und radikale Klimaaktivisten.
„Die geopolitische Lage stellt uns vor neue Herausforderungen und erschwert die Arbeit des Verfassungsschutzes“, sagte . Die Bedrohungen in den einzelnen Bereichen sind groß, sowohl im rechtsextremistischen als auch linksextremistischen und islamistischen Bereich.“
Messenger-Überwachung überfällig
Mit Verweis auf die Bedrohungslagen betonten sowohl der Innenminister als auch der Direktor der DSN erneut die unumgängliche Notwendigkeit gezielter Überwachung, nicht nur von Telefonen, sondern auch von modernen Kommunikationskanälen wie Messengerdiensten, erklärt das Innenministerium.
Das Jahr 2023 brachte eine Zunahme an abstrakten und konkreten Gefährdungslagen: Durch das Erstarken von Terrororganisationen wie al-Quaida oder dem IS kam es zu einer Zunahme an Aufrufen zur Umsetzung von Terroranschlägen, auch in Österreich.
Innenminister Karner: „Wir brauchen zeitgemäße und moderne Befugnisse für die Polizei und den Verfassungsschutz. Auch bei Messengerdiensten brauchen wir Überwachungsmöglichkeiten. Dabei handelt es sich nicht um Massenüberwachung, sondern darum, in schweren Fällen nach richterlicher Anordnung zum Schutz der Bevölkerung einzuschreiten.“
„Die aktuellen Entwicklungen zeigen, dass wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen adaptieren müssen. Die Notwendigkeit der Modernisierung der Ermittlungsbefugnisse ist derzeit sichtbarer denn je“, sagte der DSN-Direktor.
Beide unterstrichen neuerlich und eindeutig, dass diese Befugnisse ausschließlich für schwere Straftaten gelten und ausschließlich unter jenen strengen Kriterien angewendet werden sollen, die es für bereits vorhandene Befugnisse gibt und auch schon lange umgesetzt werden (z.B. Observation, „Lauschangriff“ oder das Öffnen von Briefsendungen).
Mehr extremistischer Aktivitäten
Im Jahr 2023 kam es zu einer Zunahme extremistischer Aktivitäten im Rechtsextremismus, im Linksextremismus, im Bereich der demokratieablehnenden Szene und im islamistischen Extremismus, heißt es in einer Information des Innenressorts.
Besonders im rechtsextremen Spektrum blieb das Risiko der rechtsextrem-motivierten Tathandlungen und die nachhaltige Radikalisierung konstant erhöht. Die Versammlungstätigkeiten im rechts-extremen Bereich haben sich 2023 im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht.
Im Bereich der „Alten Rechten“ kam es zu konspirativen Vernetzungen im Untergrund und zu einem Anstieg gezielter, politisch motivierter Gewalt. Durch den illegalen und legalen Besitz einer großen Anzahl an Waffen zeigt sich das Gewaltpotenzial als erhöht.
Die Eskalation des Nahostkonflikts im Oktober 2023 diente speziell den „Neuen Rechten“ als Bestätigung ihrer Haltung gegen die Migration und den Islam. Angesichts der Wahlen werden s.g. „Alter-native Medien“ genutzt, um gezielt und aktiv Information und Desinformation zu verbreiten. Darunter fällt auch die verstärkte Verwendung des Kampfbegriffs der „Remigration“, welcher u.a. die Terminologie der Gruppierung „Identitäre Bewegung Österreich“ prägt.
Gaza-Konflikt als Nährboden für Narrative
Hauptziel des linksextremen Spektrums war im Jahr 2023 der propagierte Kampf gegen Rechtsextremismus und Faschismus in Verbindung mit den zentralen Kernnarrativen Antifaschismus, Antirepression und Antikapitalismus. Hierbei wird von einzelnen Akteuren auch die physische Konfrontation mit rechten oder rechtsextremen Akteuren gesucht, etwa bei Kundgebungen.
Im Hinblick auf die Eskalation des Nahostkonflikts äußerten Akteurinnen und Akteure des Linksextremismus offen Sympathie für die palästinensische Seite. Gründe dafür sind die antiimperialistische Haltung und die Solidarisierung mit den Unabhängigkeitsbestrebungen. Dies führte, so der Verfassungsschutz, zu intensiver Beteiligung an Kundgebungen und Demonstrationen.
Klimaschutz wird wie zahlreiche andere aktuelle gesellschaftliche Themen vom linksextremen Spektrum aufgegriffen und aufgrund seiner Aktualität und medialen Präsenz zur Rekrutierung genutzt.
Es kann nach den derzeitigen Entwicklungen zwar nicht im Allgemeinen davon gesprochen werden, dass von der „Klimaschutzbewegung“ eine schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, jedoch ist zu beobachten, dass einzelne Personen und Personenzusammenschlüsse extreme Mittel einsetzen und punktuell die Grenze des „zivilen Ungehorsams“ überschreiten, erläutert das Innenressort in einer Information zum Verfassungsschutzbericht 2023.
Anstieg des islamistischen Extremismus und Terrorismus
Ein besonderes Augenmerk legt der VSB 2023 auf die Entwicklungen im Bereich des islamistischen Extremismus. Österreich verzeichnete analog zu ganz Europa eine Zunahme an abstrakten Gefahren-potenzialen, aber auch an konkreten Gefahrenlagen.
Im Mittelpunkt stand vor allem der „Islamische Staat Provinz Khorasan“ (ISKP), vor dem die DSN bereits gewarnt hatte. Die in Europa agierenden Zellen des ISKP sind gut organisiert und professionell in der Planung und Umsetzung von großen koordinierten Terroranschlägen. Die zentralen Akteure innerhalb der etablierten islamistischen Strukturen stehen in Kontakt mit internationalen Führern des ISKP und erhalten Unterstützung und Anweisungen bezüglich der zu wählenden Methoden und Anschlagszielen. In virtuellen Gruppen wird in weiterer Folge über Anschlagspläne kommuniziert und Anleitungen zur Planung, Waffenbeschaffung sowie der Durchführung von Anschlägen werden geteilt.
Die Entwicklungen im Nahostkonflikt werden weiterhin neue Radikalisierung auslösen be-ziehungsweise bestehende beschleunigen oder verstärken. Der Verfassungsschutz arbeitet kontinuierlich daran, potenzielle Gefährderinnen und Gefährder zu identifizieren und entsprechende Maß-nahmen zu setzen. Hierbei hemmt der Faktor der Online-Kommunikation, wo die Sicherheitsbehörden aktuell keinen Einblick haben, die effektive Einschätzung von Bedrohungen jedoch maßgeblich.
Terrororganisationen riefen weltweit zur Begehung von Terroranschlägen auf. Durch gezielte und professionelle, auf junges Publikum adaptierte Online-Propaganda erreichen extremistische Akteure eine breite Reichweite, die Gefährderinnen und Gefährder werden immer jünger. Im Hintergrund agieren streng organisierte extremistische Netzwerke, deren Einflussnahme eine große Auswirkung auf die extremistische Szene in Österreich hat.
„Die zentralen Akteure innerhalb der etablierten Strukturen stehen in Kontakt mit internationalen Führern des IS und erhalten Unterstützung und Anweisungen bezüglich der zu verwendenden Methoden und der Anschlagsziele. Die Kommunikation findet in allen Fällen entweder persönlich oder mit End-to-End-Verschlüsselung statt.“, betonte DSN-Direktor Omar Haijawi-Pirchner.
Wachsende Bedrohung durch Spionage und illegalen Waffenhandel
Insbesondere ausländische Behörden und deren Spionageaktivitäten stellen eine anhaltende Gefahr für die Sicherheit Österreichs dar. Im vergangenen Jahr setzte man sich mit der möglichen Einflussnahme in Hinsicht auf das Wahljahr 2024 auseinander. Das Verbreiten von Desinformation, die unzulässige ausländische Einflussnahme sowie das Durchführen von Cyberangriffen spielten im Berichtsjahr 2023 eine große Rolle.
Durch die steigende Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Österreich und das Vorhandensein von spezifischem Wissen in Forschung und Technik werden Spionageaktivitäten zunehmen und somit bleibt die Spionageabwehr weiterhin eine bedeutende Aufgabe des Verfassungsschutzes.
Vorausblickend wird der anhaltende Krieg in der Ukraine im Bereich des internationalen illegalen Waffenhandels unter dem Begriff „Battlefield Collection“ zu einem Nährboden werden. Für kriminelle und terroristische Gruppierungen könnte Österreich als logistisches Zentrum und als Umschlagplatz nach Süd- und Westeuropa genutzt werden, was wiederum die Gefahr eines Einsatzes der entsprechenden Waffen in Österreich erhöht.
Schutz und Prävention: Neue Strategien und Maßnahmen
Zu den Aufgabenbereichen der DSN zählen neben dem Schutz der Bevölkerung vor verfassungsgefährdenden Bedrohungen auch die Sicherstellung der Handlungsfähigkeit verfassungsmäßiger Einrichtungen sowie der Schutz der Obersten Organe und der Kritischen Infrastruktur.
In diesem Zusammenhang legt der Verfassungsschutz einen besonderen Fokus auf Prävention, wie die stellvertretende Direktorin Sylvia Mayer ausführt: „Durch die Gewinnung, Auswertung und Analyse relevanter Informationen sowie durch Gefährdungs- und Risikoeinschätzungen gewinnen wir einen Überblick über die Gefahrenpotenziale.“