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Der Tiroler Wahlsonntag und die Irrungen der Meinungsforschung
Es sind zwei Welten, in denen sich politische Beobachter, Interessierte oder Wähler rund um die Landtagswahl in Tirol bewegten. Die eine Welt war jene vor der Wahl und die andere Welt war jene am vergangenen Sonntag nach der ersten Hochrechnung knapp nach 17.00 Uhr. Eine Analyse.
Irreführendes Szenario
In der Welt vor dem Wahlsonntag konnte man geradezu fix davon ausgehen, dass die ÖVP nahezu dem Untergang geweiht ist. Bei und nach der Wahl würde kein Stein auf dem anderen bleiben. Die einstige schwarze Hochburg, geprägt vom legendären „Walli“ (Eduard Wallnöfer, Landeshauptmann von 1963-1987), werden sich nun, nach 14 Jahren Landeshauptmann Günther Platter in ein bunt regiertes Land verwandeln, wo schwarz maximal in leichten Schattierungen noch vorkommen würden. Umfrage um Umfrage wurde der Tiroler ÖVP ein grandioser Absturz prophezeit und von einigen ein Ergebnis unterhalb der 30 Prozent Marke vorausgesagt. Diese Zahlen war dann das Futter für die entsprechende Berichte und Kommentare im Vorfeld des Wahlsonntags.
Die Wahl war, so schien es, für viele Meinungsbildner und Kommentatoren bereits entschieden, noch bevor jemand der 535.112 wahlberechtigten Tirolerinnen oder Tiroler irgendwo am Stimmzettel das Kreuz gemacht hatte. Nachrufe auf ÖVP-Spitzenkandidat Anton Mattle sowie ein Abgesang auf die Tiroler ÖVP lagen in manchen Redaktionen vermutlich schon in den Schubladen bereit, um am Sonntagabend auf Knopfdruck das Ende der Schwarzen in Tirol zu besiegeln. Es bleibt ein Geheimnis, in wie vielen Redaktionen Wortspiele und Schlagzeilen wie „Schach-Matt(le)“ bereits vorgeschrieben und griffbereit waren.
Allein: Die meisten Umfragen ergaben ein irreführendes Szenario.
Die Welt der Wähler sieht anders aus
Die Realität des Tiroler Wählerwillens machte aber vielen einen Strich durch die Rechnung. Denn als am Sonntag kurz nach 17.00 der schwarze Balken in die Höhe ging und nicht dort zu liegen kam, wie viele im Vorfeld prognostizierten (und herbeischrieben) und schließlich auch noch andere Parteien ein Ergebnis ablieferten, mit dem wenige gerechnet hatten, weil auch dort die Umfragen falsch lagen, war auf einen Wimpernschlag die Lage plötzlich anders. Schon irgendwie blöd, diese Demokratie!
Die Volkspartei hat wie erwartet verloren, der fix geglaubte Totalabsturz blieb allerdings aus, die Verluste in Prozent sind nicht mal zweistellig ausgefallen, obwohl es Umfragen gab, die ein fettes Minus von 17, 18 Prozent voraussagten. Plötzlich war Anton Mattle trotz Minus neun Prozent der Gewinner der Wahl(-arithmetik) und Georg Dornauer mit einem mageren Plus von 0,23 Prozent irgendwie der Verliere des Abends.
Denn die Gedankenspiele mancher über eine Koalition gegen die ÖVP fand bei den Tirolerinnen und Tirolern ebenso keine Mehrheit, wie die absolute Notwendigkeit eine Dreierkoalition bilden zu müssen, weil sich Zweierkoalitionen nicht ausgehen würden. Rechnerisch haben die Wählerinnen und Wähler Anton Mattle aber jetzt sämtliche Optionen für die Regierungsbildung in seine Hände gelegt. Fazit: ein kollektive Blamage für die Meinungsforschung (bis auf eine Ausnahme, die Umfrage der Tiroler Bezirksblätter).
Was nun, Kommentatoren und Meinungsforscher?
Eine derart riesige Abweichung von Meinungsforschung und tatsächlichem Wählerwillen gab es selten und konnte daher am Montag nach der Wahl nicht negiert werden. „Soweit ich weiß, hat es keine einzige veröffentlichte Umfrage zur Tirol-Wahl gegeben, die den Qualitätskriterien entsprochen hat“, sagt Edith Jaksch, Präsidentin des Verbands der Meinungsinstitute (VdMI) in der Dienstagausgabe der Salzburger Nachrichten und fügt hinzu: „Die älteren Damen in Tirol, die am Sonntag stark ÖVP gewählt haben, waren über Onlineumfragen schwer zu erreichen.“ Sie sollte es ja wissen. So geben die Richtlinien vor, dass eine Sonntagsfrage zumindest 800 Befragte und einen Methodenmix (aus Online-, Telefon- bzw. Face-to-Face-Befragungen) umfassen sollte.
Filzmaier: „methodischer Schrott“
Politwissenschafter Peter Filzmaier meinte bereits am Sonntagabend in der ZIB2, dass einige veröffentlichte Umfragen „nichts als methodischer Schrott“ waren.
Trotz der scharfen Urteile nach der Wahl über die Umfragen vor der Wahl bleibt die Frage, wieso sich einzelne Berichterstatter und Kommentatoren vor einer Wahl an solchen Umfragen bedienen, damit Seiten und Sendezeiten befüllen? Vielleicht kehrt bei Meinungsforschern, Medien und Kommentatoren etwas Einsicht und Gelassenheit ein. Aber auch in Tirol. Die Aufgeregtheit der vergangenen Monate tut niemanden gut.