Reitans Freitag
Der Diskurs läuft aus dem Ruder
Kurt Imhof hatte Recht: Manche Akteure in Politik und Medien überholen einander ständig in der Gipfelhöhe ihrer Erregung. Ihr Ziel: Aufmerksamkeit. Ihr Gegenstand: Empörungsbewirtschaftung.
Empörung
Mit Empörungsbewirtschaftung meinte der Schweizer Mediensoziologe Imhof die galoppierende Verflachung der öffentlichen Debatte bei steigender Erregung der Beteiligten.
Auf heute gewendet: Aussagen werden verkürzt und verdreht, um sie dann ihrem Urheber zum Vorwurf zu machen. Dieser Tage zu sehen an der rituellen Empörung über klare Worte von Bundeskanzler Karl Nehammer zu Leistung, Pflichten und Verantwortung.
Zerrissen, verdreht, verkürzt
Niemand kann ernstlich annehmen, ein Gespräch unter Vernünftigen über wesentliche Themen ließe sich mittels brachial geschnittener Videosequenzen führen. Ein Unfug. Verkürzt wie Comix, aber mit Tonspur. Und aus dem Zusammenhang gerissen, der nicht mehr herzustellen ist.
Große Gereiztheit
Doch der Boden, auf dem die Empörung ins Kraut schießt, ist die vom deutschen Denker Bernhard Pörksen beschriebene „große Gereiztheit“ vieler Zeitgenossen und -genossinnen. Die warten auf den täglichen Anlass zur Empörung wie der Hausmeister auf einen ausgespuckten Kaugummi. Die Empörten bespielen den öffentlichen Raum auf allen Kanälen. Der von ihnen befeuerte Diskurs läuft aus dem Ruder.
Furor im Internet
Der Empörungsfuror im Internet reibt uns auf, sagte Anne Will, Deutschlands Top-Moderatorin jüngst in einem Abschiedsinterview. So ist es. Denn wer dagegen hält, den trifft die Empörung der Erregten, die sich im Recht wähnen, ohne es zu sein.