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Zur-Sache Interview: Neo-Bundesbäuerin Irene Neumann-Hartberger im Gespräch
Irene Neumann-Hartberger wurde vor Kurzem zur neuen österreichischen Bundesbäuerin gewählt. Sie ist somit oberste Vertreterin für rund 130.000 Bäuerinnen in unserem Land. Zur-Sache.at sprach mit Neumann-Hartberger über die aktuellen Herausforderungen für die Bäuerinnen sowie ihre Visionen und Ziele für ihre kommende Funktionsperiode.
Zur-Sache.at: Wir möchten Ihnen herzlich zu Ihrer neuen Funktion als Bundesbäuerin gratulieren. Sie selbst sind bereits seit einiger Zeit als Interessensvertreterin für die Landwirtschaft tätig. Was hat Sie dazu bewogen, sich für das Amt der Bundesbäuerin zur Wahl zu stellen?
Neumann-Hartberger: Ich bin ein Mensch, der sich einbringen und mitgestalten will, der offensiv und lösungsorientiert an Themen herangeht. Als Bundesbäuerin kann ich die Anliegen meiner Berufskolleginnen bündeln und in den entsprechenden Gremien einbringen.
Die Arbeitsgemeinschaft Österreichische Bäuerinnen gibt es bereits seit 1972. Die aktuelle Corona-Situation stellt auch die Landwirtschaft vor große Herausforderungen. Womit kämpfen die Bäuerinnen zurzeit am meisten?
Neumann-Hartberger: Wir sehen die Dinge möglichst positiv. Ein Beispiel sind die Direktvermarkter, denen die Corona-Pandemie im Vorjahr ein Umsatzplus von 40% gebracht hat. Eine Chance, die genutzt wurde, um Wertschöpfung auf unsere Betriebe zu bringen.
Urlaub am Bauernhof, Buschenschänken oder Betriebe, die Schule am Bauernhof anbieten sind schwer betroffene Bereiche. Bald wird all dies wieder möglich sein, genauso wie unsere Seminarbäuerinnen bald wieder die Schulen besuchen, um die Kinder über Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung zu informieren.
Als Mütter standen unsere Bäuerinnen genauso wie alle anderen Frauen vor der Herausforderung einer Mehrfachbelastung mit Kinderbetreuung, Homeschooling, Betriebsführung und oftmals noch einem Zweitjob.
Sie sind seit 2020 auch als ÖVP-Abgeordnete im Nationalrat tätig. Welche Schwerpunkte wollen Sie in Zukunft für die Bäuerinnen im Zuge ihrer Parlamentstätigkeit setzen?
Neumann-Hartberger: Ich werde versuchen, in allen agrarischen Belangen die weibliche Sichtweise einzubringen. Ganz besonders wichtig ist mir weiterhin die soziale und rechtliche Absicherung der Frauen auf den Höfen, schließlich leisten sie ebenso wertvolle Arbeit wie ihre männlichen Partner. Man darf nicht vergessen, dass bereits jeder 3. Bauernhof von der Bäuerin eigenverantwortlich geführt wird. Für diese Gleichberechtigung auf politischer und interessenpolitischer Ebene kämpft die ARGE Bäuerinnen seit Jahren – mit ersten Erfolgen. Heute sind Bäuerinnen im Nationalrat, im Bundesrat, in den Landtagen und in immer größer werdender Zahl in bäuerlichen Vereinen und Organisationen zu finden. Mit dazu beigetragen hat sicherlich die „Charta für eine partnerschaftliche Interessenvertretung“, mit deren Unterzeichnung sich Institutionen zur Chancengleichheit von Frauen bekennen. Mir geht es aber auch darum, Frauen aus dem ländlichen Raum zu motivieren, sich gesellschafts- und agrarpolitisch zu engagieren, um die Regionen weiterzuentwickeln.
Gibt es dazu bereits konkrete legislative Vorhaben?
Neumann-Hartberger: Zwei Themen, auf die wir aktuell ein besonderes Augenmerk legen wollen, sind Pflege und Herkunftskennzeichnung.
Der Green Deal der EU ist ein komplexes Thema, das alle Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche anspricht. Worin erkennen Sie dabei die Chancen und Möglichkeiten für die österreichischen Bäuerinnen?
Neumann-Hartberger: Die österreichischen Bäuerinnen und Bauern sind sich der Herausforderungen durch den Green Deal durchaus bewusst. Wir wissen aber auch, dass es zur Erreichung der Ziellinie gesamtgesellschaftliche Anstrengungen braucht. Ressourcenschonung, gesunde Böden, reine Luft und der Lebensraum für Flora und Fauna sind jene Bausteine, mit denen wir jeden Tag leben und auf die wir unsere Arbeit ausrichten, im Hinblick darauf, unseren Kindern nicht nur bewirtschaftungsfähige Höfe zu hinterlassen, sondern eine gesunde Natur, in und mit der sie weiterleben können.
Eine wichtige Aufgabe im Rahmen des Green Deals wird für unsere Bäuerinnen und Bauern sein, in der Gesellschaft Bewusstsein für unsere jahrelangen Vorleistungen zu schaffen. Die wenigsten Menschen wissen, dass mehr als 80% unserer Bauernhöfe am österreichischen Umweltprogramm ÖPUL teilnehmen und sich damit strengen Umweltauflagen verpflichtet haben. Uns ist bewusst, dass wir auf unseren Höfen Verantwortung für die Artenvielfalt tragen, nun geht es darum, diese auch entsprechend zu kommunizieren.
Bei der EU-Strategie „Farm2Fork“ ist die Landwirtschaft Lieferant für gesundes und regionales Essen auf den Tellern der ÖsterreicherInnen. Die Aufklärung über die Lebensmittelherstellung und -herkunft ist ein jahrelanges Anliegen der heimischen Bäuerinnen.
Gerade in der Corona-Krise wurde der Trend zu mehr regionalen und heimischen Lebensmitteln verstärkt. Welche Möglichkeiten hat die Politik diesen Trend auch weiter zu fördern und die Bäuerinnen und Bauern in der Produktion ihrer Lebensmittel am Hof zu unterstützen?
Neumann-Hartberger: Die zentrale Aufgabe wird sein, diesen Trend und dieses Bewusstsein hochzuhalten und zu unterstützen. Die KonsumentInnen achten beim Einkauf im Lebensmitteleinhandel bewusster auf Regionalität. Sie wollen genau wissen, woher ihre Lebensmittel kommen. Die Herkunftskennzeichnung muss der dafür zuständige Gesundheitsminister rasch umsetzen.
Eine weitere wesentliche Maßnahme ist der Ausbau der Breitbandversorgung bis in den letzten Winkel Österreichs, damit die Bauern ihre Online-Vermarktungswege ausbauen können. Corona hat gezeigt, dass Click & Collect von den Verbrauchern sehr gut angenommen wird, das gilt es weiter auszubauen.
Sie selbst sind Mutter zweier Kinder und bewirtschaften seit 1995 einen Milchviehbetrieb. Zudem tragen Sie politische Verantwortung. Was raten Sie jungen Frauen, die sich politisch engagieren wollen?
Neumann-Hartberger: Ich rate ihnen, ihren Weg zu gehen. Junge Frauen haben viel zu bieten, sind gebildet, engagiert und bereit, Verantwortung nicht nur für sich, sondern auch für die Gesellschaft zu übernehmen. Dafür braucht es aber unbedingt bedingungslosen Rückhalt des Partners und Vereinbarkeit mit Betrieb und Familie.