Europa- & Aussenpolitik
Europa im Schatten des neuen Krieges
Der Krieg ist zurück und das hat Folgen: Die Staaten und die Institutionen der Europäischen Union werden Entschlossenheit und Tatkraft benötigen, um für den Kontinent Frieden und Wohlstand zu erhalten. Das ist der Grundtenor aus Vorträgen und Debatten des zweitägigen Symposiums „Die großen Erzählungen zu Europa“ an der Politischen Akademie – samt und sonders gehalten im Schatten des Krieges Russlands gegen die Ukraine.
Europa eine „Eidgenossenschaft“
Die Union ist eine „Eidgenossenschaft“, ein Projekt, das nur funktioniert, wenn alle mitmachen, sagte die Kulturwissenschafterin Aleida Assmann zum Auftakt. Sie sei historisch „aus einem beispiellosen Gewaltakt“ entstanden, aber keinesfalls eine stabile Institution. Sie benötige Voraussetzungen, die sie nicht herstellen könne, meinte Assmann unter Verweis auf das Böckenförde-Diktum. Heute stehe die Europäische Union für
- Frieden,
- Demokratie und ihren Schutz,
- Rechtsstaatlichkeit,
- selbstkritische Erinnerungskultur,
- Grundlagen der Menschenrechte
Putin zerstört den europäischen Traum
Die EU sei „Schutzmacht der Demokratie“, doch Russlands Präsident Wladimir Putin „zerstört den europäischen Traum“, meinte Assmann. So auch der Politikwissenschafter Peter Nitschke: Die EU ist eine „friedliche Zivilisation“, sehe sich als Friedens- und Schutzmacht. Allerdings sei es bisher wohl die NATO gewesen, die den Frieden für Europa gesichert habe. Was sind die Schlussfolgerungen aus der „Wiederkehr des Krieges“? Nitschke dazu:
- die Integration werde nicht wie bisher fortgesetzt werden können,
- das Friedensprojekt bedarf einer militärischen Infrastruktur.
- Bleibt die Frage, so Nitschke, wer übernimmt die Kosten dafür?
Kontinent stets mit Russland denken
Wer den Kontinent denkt, muss Russland mitdenken – das zieht sich durch alle Statements der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die von den Historikern und Publizisten Thomas Köhler und Christian Mertens zum Symposium geladen waren.
Nur: Was ist Russland? Befindet es sich weiterhin in seinen jahrhundertealten Identitätskonflikten, wie der Historiker Wolfgang Müller fragte? Oder meint es, am russischen Wesen solle die Welt genesen?
Hat sich Russland von Europa abgewandt, wie die Philosophin und Politikwissenschafterin Barbara Zehnpfennig feststellt? Verachtet Russland den Westen wegen dessen Kompromissen, die als Schwäche gelten?
Konflikte auflösen und in Fortschritt verwandeln
Die Ukraine braucht vorerst weiterhin Unterstützung aus dem Westen. Und Perspektiven.
Aus den Betrachtungen von zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie der Keynote der Schriftstellerin Tanja Maljartschuk geht hervor, was Perspektiven und Hoffnung gibt: Argumente widerlegen, nicht aber Gegner diffamieren; solcherart innere Konflikte aufzulösen und in Fortschritt zu verwandeln.
Dem Titel des Symposiums, „Die großen Erzählungen zu Europa“ entsprechend, wird jetzt ein neues Kapitel dieser Geschichte geschrieben. Es steht, wie ihr Beginn, im Schatten des Krieges, um sich daraus zu befreien.