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Wann die Impfpflicht wirklich zur Pflicht wird
Das Gesetz zur Impfpflicht ist in Kraft, aber das heißt noch nicht, dass es tatsächlich zu einer Pflicht kommt. Das klingt auf den ersten Blick widersprüchlich, aber dahinter steckt ein durchdachtes Konzept. Zur-Sache erklärt die Impfpflicht, die am Ende möglicherweise gar nicht exekutiert wird, aber trotzdem ihre Sinnhaftigkeit hat.
Breiter Konsens über sensibles Thema
Der Weg zur gesetzlichen Impfpflicht war lang und von intensiven Debatten begleitet. Im Spätherbst vergangenen Jahres, inmitten der vierten Welle, kam es zu einem politischen Konsens zwischen der Bundesregierung, den Ländern und der SPÖ, als erstes Land in Europa die Impfpflicht einzuführen. Man sah die Notwendigkeit gegeben, zu dieser höchstsensiblen Entscheidung zurückzugreifen, um die Impfquote weiter zu erhöhen und für weitere Wellen besser gerüstet zu sein. Wie schwerwiegend diese Entscheidung war, zeigen die zehntausenden von eingelangten Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf in der Begutachtungsphase.
Die vielen Demonstrationen mit tausenden Menschen auf den Straßen und Plätzen Wiens und der Landeshauptstädte sind Beleg dafür, wie sehr das Gesetz in der Bevölkerung polarisierte. Allerdings zum Teil mit faktenwidrigen Argumenten. Aber was steht genau im Gesetz zur Impfpflicht? Während viele glauben, dass die Pflicht mit wenigen Ausnahmen für alle besiegelt ist, wurde das Gesetz mit einer Reihe von Mechanismen versehen. Erst wenn alle im Gesetz eingebauten Stufen die Impfplicht als absolut notwendiges Mittel erachten, wird die Pflicht sich impfen zu müssen schlagend.
Wer über die Impfpflicht entscheidet: zuerst Experten …
Im Gesetz wurde eine eigene Kommission verankert, die sich aus Rechtsexperten und Medizinern zusammensetzt. Zwar sind die Mitglieder noch nicht bekannt, aber Aufgabe dieser Kommission wird es sein, laufend die epidemiologische Lage zu beobachten und zu bewerten. Her geht es um die ständige Abwägung des gesundheitlichen Risikos, den Auslastungszahlen an den Spitälern und die Notwendigkeit des Eingriffes in die Freiheitsrechte jedes einzelnen.
Hinzu kommen die Einschätzungen und Lagebewertungen der gesamtstaatlichen Covid-Krisenkoordination (Gecko) sowie die Empfehlungen des Nationalen Impfgremiums. Diese Einrichtungen bilden die expertenseitige Gesamteinschätzung ab.
… dann politische Instanzen
Auf der anderen Seite gibt es auch noch die politischen Instanzen, welche die Letztentscheidungen zu treffen haben. Auch hier sind mehrere Mechanismen vorgesehen, denn ein einfacher Beschluss reicht nicht aus.
So muss zuerst der Gesundheitsminister dem Ministerrat einen Vorschlag vorlegen. Gibt die gesamte Bundesregierung grünes Licht, muss auch noch der Hauptausschuss des Nationalrates mit in die Beratungen und Beschlussfassung eingebunden werden.
Formal nicht festgeschrieben, aber während der Corona-Krise immer wieder bei größeren Entscheidungen mit dabei: die Landeshauptleute. Auch bei der Impfpflicht wird das der Fall sein: die Länder werden und sind mit eingebunden, wenn es um die Anwendung der Impfpflicht geht.
Bundeskanzler Karl Nehammer hat bereits angekündigt, dass für ihn die Empfehlungen der Kommission bzw. Expertinnen und Experten entscheidend sind. Heißt im Klartext: Halten die Expertinnen und Experten an der Impfpflicht fest, wird sie umgesetzt. Gibt es kein OK, wird es auch keine Pflicht geben und das Gesetz ausgesetzt.
Wieso dann ein eigenes Gesetz?
Um die Impfpflicht umsetzen zu können, braucht es ein Gesetz. Dieses wurde nach langen rechtlichen Abwägungen, tausender Stellungnahmen und ausführlicher Diskussionen inklusive Expertenhearing im Parlament beschlossen. Somit hat man die rechtliche Grundlage in der Schublade liegen. Sollte sich die pandemische Situation wieder verschärfen, zum Beispiel durch die Verbreitung einer neuen Virusvariante, die möglicherwiese aggressiv ist und eine steigende Spitalsbelegung zur Folge hat, kann die Umsetzung der Impfpflicht von den Expertinnen und Experten empfohlen werden. Die Schublade mit dem Impfgesetz würde dann wohl von der Politik geöffnet werden.
Derzeit sieht es aber nicht danach aus. Neben dem Kanzler, der auf die Expertenmeinung hören wird, melden sich immer mehr Länder zu Wort. Tenor: die Pflicht zu impfen scheint im Moment nicht zwingend erforderlich. Expertinnen und Experten sehen es genauso. Aber wie gesagt: im Moment.